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Amon: Mein Großvater hätte mich erschossen (German Edition)

Amon: Mein Großvater hätte mich erschossen (German Edition)

Titel: Amon: Mein Großvater hätte mich erschossen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Teege , Nikola Sellmair
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Schweigen verinnerlicht.
    Mein Mann hat mich einmal gefragt, ob wir nicht auch ein Pflegekind aufnehmen wollen. Ich weiß nicht, ob ich mir das zutraue. Wenn ich es täte, würde ich mich bewusst für ein Kind mit dunklerer Haut entscheiden – dann würde es so ähnlich aussehen wie meine beiden leiblichen Söhne. Es hätte das Gefühl, besser «reinzupassen».
    Meine Adoptiveltern waren Idealisten. Sie achteten nicht auf Äußerlichkeiten, sie wollten einfach einem Kind eine Chance geben. Die erste Familie, die das Jugendamt zu mir ins Heim schickte, hatte mich noch wegen meiner Größe abgelehnt. Das wäre für Inge und Gerhard undenkbar gewesen.
    Ich nannte Inge und Gerhard «Mama» und «Papa», so wie meine Brüder es taten. Zu Anfang kamen mir die Worte ganz selbstverständlich über die Lippen. Aber als ich selbst Mutter wurde, begann ich, meine Adoptiveltern mit «Oma Inge» und «Opa Gerhard» anzusprechen. Das fand ich passender. Sie liebten es, Großeltern zu sein, gingen ganz in ihren neuen Rollen auf.
    Seit ich das Buch über meine Mutter gefunden habe, habe ich ganz aufgehört, sie «Mama» und «Papa» zu nennen. Ich empfand es als wichtig, zwischen ihnen und meinen leiblichen Eltern zu unterscheiden.
    Als Kind konnte ich nie unbefangen «Adoptiveltern» sagen, ich bezeichnete mich auch nie als «Adoptivtochter». «Adoptiv-» klang wie ein Makel. Weil wir nicht darüber redeten, war unklar, was es bedeutete – aber jedenfalls war es etwas Unangenehmes. Die Adoptionsurkunde war für mich frei zugänglich. Sie lag bei den wichtigen Dokumenten im Schreibtisch, aber darüber gesprochen wurde in der Familie nicht.
    Die Adoption wurde zu einem Tabuthema.
    Nicht einmal mit meinen Brüdern redete ich über meine Mutter, obwohl mich mit Matthias und Manuel die engste Beziehung verband: Sie waren einfach meine Brüder. Bei ihnen konnte ich sein, wie ich bin.
    Sie hatten es leichter als meine Adoptiveltern: Sie mussten mir keine leiblichen Eltern ersetzen, sie standen nie in Konkurrenz zu meiner Mutter.
    Von Pflege- oder Adoptiveltern erwartet man viel. Sie sollen dasselbe leisten wie biologische Eltern, einem Kind sofort Vater und Mutter sein. Aber es braucht Zeit, in eine Rolle hineinzuwachsen. Anfangs überwiegt vielleicht das Mitgefühl, man hat Mitleid mit dem schutzbedürftigen Wesen, das plötzlich im eigenen Haus lebt. Aber erst nach und nach lernt man die Persönlichkeit des Kindes kennen und wächst zu einer Familie zusammen.
    Die Zuneigung meiner Adoptiveltern war nicht selbstverständlich. Ich hatte Angst, sie wieder zu verlieren.
    Inge und Gerhard haben immer wieder betont, dass sie uns drei Kinder alle gleich liebhaben. Aber ich glaube nicht, dass das geht. Man kann jedes Kind liebhaben, aber auf unterschiedliche Weise.
    *
    Jennifer Teeges jüngerer Adoptivbruder Manuel sagt, er habe Jennifer nie als «Adoptivschwester» wahrgenommen: «Sie ist meine Schwester. Jenny war da, solange ich denken kann.» Matthias erinnert sich, dass in der Familie durchaus über die Adoption gesprochen wurde: «Aber immer nur rückblickend: So war das damals im Heim, dann kam sie in unsere Familie. Es wurde nie thematisiert, wie sich Jenny damit fühlte und wie es ihrer Mutter gerade erging.»
    Insgesamt sei das Thema Adoption vermieden worden, weil es die Gleichheit zwischen den Geschwistern in Frage gestellt hätte, so Matthias Sieber: «Das war ein Dogma bei uns: Alle werden gleich behandelt. Ich habe erst spät gemerkt, dass das nicht so war.» In der Realität sei es so gewesen, dass seine Eltern mehr Probleme mit Jennifer hatten: «Es gab öfter Streit. Zum Teil lag das auch darin begründet, dass Jenny ein Mädchen war. Unsere Mutter maß hier mit zweierlei Maß, sie war Jenny gegenüber weniger tolerant. Andererseits hat sich Jenny manchmal auch ungeschickt verhalten, hat unsere Eltern provoziert oder ist mit ihrem Verhalten angeeckt.»
    Inge Sieber bemerkte bei ihrer eigenen Mutter, der «Wiener Oma», dass diese Jennifer zwar voll akzeptierte, aber ihr gegenüber immer etwas reservierter war als bei den leiblichen Enkelsöhnen Matthias und Manuel.
    Inge Sieber selbst hatte Schwierigkeiten mit Jennifer, weil die neue Tochter eine völlig andere Persönlichkeit mitbrachte: «Ich bin eher ängstlich – Jenny ist temperamentvoll und selbstbewusst. Ich wollte, dass sie pünktlich zu Hause ist – sie pochte auf ihre Freiheit. Es gab so viele Kämpfe zwischen uns.»
    *
    Mit neun oder zehn Jahren ließ ich in

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