Amore macchiato: Roman (German Edition)
verdreckt sind.
»Komm«, Riccardo nimmt meine Hand, »ich stelle dir meine Verwandtschaft vor.«
Unter dem Gebrüll und Getobe der um uns herumhüpfenden Kinder laufen wir über den Hof und am Haupthaus vorbei in ein kleines angrenzendes Waldstück. Vor einer weiß getünchten Schäferhütte ist ein großer Esstisch aufgebaut, der bereits mit ausgelassen feiernden Menschen voll besetzt ist.
»Riccardo«, ruft eine steinalte Frau und kommt mit überraschend schnellen Schritte auf uns zu. Sie ist höchstens einen Meter fünfzig groß, samt Kopftuch ganz in Schwarz gekleidet und trägt ein Tuch in Trachtenmuster um den Hals. Sie streckt die Arme nach Riccardo aus, der sich tief zu ihr herunterbeugt, um ihre Küsse entgegenzunehmen.
»Bene bennidu, nepote meu, coment’ístas?«, krächzt die winzige Frau.
Ich verstehe kein Wort mehr. Wir sind im rein sardischen Sprachraum angekommen.
»Eehh«, setzt Riccardo zu meiner Überraschung nun ebenfalls auf Sardisch zur Antwort an, und sein Tonfall nimmt den gleichen krächzenden Klang an wie bei der alten Dame, »gai semus e bois, zia Bachisia? «
»Mahh«, die alte Dame wiegt zahnlos lächelnd den Kopf, »imbezzande. Ma narami, coment ’ ístene sos bezzeddos, Maria e Antoneddu?«
Offenbar sprechen sie gerade über Riccardos Großeltern.
» Bene, bene, a casa tutti bene – gut, zu Hause geht es allen gut«, wechselt Riccardo nun wieder ins Italienische und legt einen Arm um mich. »Bachisia, darf ich dir meine Freundin Annika vorstellen? Annika, das ist meine Großtante Bachisia, nonno Antonios Schwester.«
»E chi este custa bella pizzinna? Bella, bella abberu, comente frunza é cariasa«, krächzt die alte Dame weiter, streckt mir ihre runzeligen Hände entgegen und zieht mich zu sich herab, um auch mich überschwänglich auf beide Wangen zu küssen. » Benies«, wendet sie sich dann wieder Riccardo zu. »Benies a saludare sos atteros!«
Sie nimmt ihn an die Hand und zieht ihn Richtung der Tafel, wo die Anwesenden bereits neugierig sitzen und zu uns herüberschauen.
»Was hat sie gesagt?«, zische ich leise Riccardo zu.
»Sie hat gesagt, dass du schön bist wie ein Kirschblütenzweig.«
»Wie ein was?« Ich muss lachen. Das hat nun wirklich noch niemand über mich gesagt.
»Besser hätte ich es auch nicht ausdrücken können«, scherzt Riccardo, bevor er in dem großen Hallo seiner Verwandtschaft untergeht. Unendlich viele Hände wollen geschüttelt, Wangen geküsst und weitere Tanten, Cousins, Nichten und Onkel umarmt und geherzt werden. Ich werde begrüßt, als würde man mich schon ewig kennen, und vor Überforderung ob so vieler Menschen, die auf Sardisch und Italienisch auf mich einreden, steht mir bald der Schweiß auf der Stirn.
»Das hier ist Chiara, meine Schwester«, ruft Riccardo, legt seine Hand auf die Schulter einer hübschen, jungen Frau mit dunklen Locken, die den kleinen Giorgio vom Parkplatz auf dem Arm trägt und mich neugierig bis prüfend mustert.
Verschüchtert reiche ich ihr die Hand. Da Riccardo keine Mutter mehr hat, passt seine große Schwester bestimmt doppelt auf ihn auf, befürchte ich.
»Ich freue mich, dich kennenzulernen«, sagt Chiara unterdessen und beugt sich unter ihrer Giorgio-Last vor, um mich auf die Wange zu küssen.
»Ich freue mich auch«, sage ich und versuche, betont fröhlich-entspannt zu klingen.
» Accommodatevi – setzt euch«, unterbricht uns jäh ein Onkel-Cousin-was-auch-immer, der mich am Arm nimmt und auf einen freien Platz an der Tafel schiebt. Von der einen Seite reicht mir jemand ein volles Glas mit Limoncello, von der anderen füllt mir jemand einen Becher Rotwein ein. Ich proste willenlos in die Runde, trinke einen Schluck des köstlichen Zitronenschnapses und schnappe nach Luft. Das Ganze ist wie im Werbefernsehen, nur wilder. Zwar nicht so hübsch dekoriert, dafür aber authentischer. Der Tisch ist übersät mit zerkratzten Plastikschüsseln, die in Garten und Küche offensichtlich schon viel mitmachen mussten, gefüllt mit frischen Salaten, Kräutern und Früchten. Daneben eine Armee an Einmachgläsern mit eingelegten Oliven und Bohnen in allen Farben sowie in einen riesigen, runden Korb geschichtet das typisch sardische Fladen-Knäckebrot carasau . Der Tisch ist gedeckt mit angestoßenen Tellern jeder Couleur. Was Besteck betrifft, gibt es nur Gabeln und als Servietten dient eine Küchenrolle, die inmitten des Durcheinanders thront.
» Fra un po e pronto il porcheddú – das Wildschwein
Weitere Kostenlose Bücher