Amore macchiato: Roman (German Edition)
freundlich. Hier ist die Welt echt noch in Ordnung«, schwärme ich Riccardo vor, als wir viele Stunden später die Tür des Wohnanhängers hinter uns schließen, in dem außer einem bankartigen Bett nur noch ein Klapptisch und eine Art Sideboard eingebaut sind. Zum Sitzen dienen ein paar Klappstühle, die ich unter dem Bett gestapelt erkennen kann.
Ich lege meine Tasche auf die Decke.
»Ganz gemütlich hier«, sage ich zu dem, was ich im Dämmerlicht um mich herum erahnen kann. »Dürfte ich bitte ein T-Shirt für die Nacht von dir haben?«, fahre ich dann fort.
»Nein. Und meine Verwandtschaft hat ihre ganz eigenen Probleme mit dem Leben hier. So einfach, wie es aussieht, ist es nicht.«
»Warum nein?«, frage ich. »Magst du deine Verwandten nicht?«
»Doch, ich liebe sie alle heiß und innig, aber du bekommst kein T-Shirt von mir.«
»Dann habe ich jedoch nichts an und falls ich nachts mal raus muss und auf deine heißgeliebten Verwandten treffe, werden sie erschüttert sein.«
»In diesem Fall könnte ich dir anbieten, dass ich auch nichts anhabe, damit die Katastrophe perfekt ist.« Riccardo schließt die Vorhänge und zieht mich zu sich aufs Bett.
»Was meinst du mit ganz eigenen Problemen?«, möchte ich wissen.
…
»Riccardo?«
Er knabbert an meinem Ohrläppchen.
»Antworte mir!«
Stille.
»Wenn ich so recht drüber nachdenke«, sagt er dann, »ist das allergrößte Problem, das einem in dieser Gegend begegnen kann, mit einer wunderschönen Frau im Bett zu liegen, die die ganze Zeit über nur reden will.«
»Riccardo!« Energisch schiebe ich seine Hand von meinem Oberschenkel.
»Okay, okay«, er richtet sich auf, »mit den Schwierigkeiten hier oben meine ich, dass noch die alten Zeiten gelten. Im Landesinnern ticken die Uhren noch anders. Hast du Giuseppa kennengelernt, die älteste Tochter von Bachisia?«
Ich nicke.
»Man hat ihren Mann Fedele vor drei Jahren erschossen in den Wäldern aufgefunden. Den Mörder haben sie nie geschnappt und, wenn du mich fragst, auch nie so richtig gesucht. Wenn du hier jemanden darauf ansprichst, hüllen sich alle in Schweigen. Hier gelten ganz eigene Gesetze.«
»Jemand hat deinen Onkel erschossen. Einfach so?« Ich bin schockiert.
»Na ja, der Mörder wird schon seine Gründe gehabt haben. Vielleicht hat Fedele ihm vor zwanzig Jahren mal ein paar Schafe geklaut, was weiß ich. Die Sarden hier oben vergessen nichts. Und machen dicht vor allem, was nicht sardisch ist. Oft eben auch vor der italienischen Kriminalpolizei. Daher …«, Riccardo beugt sich aus dem Bett, um den Schalter der Wandfunzel zu erreichen, und löscht das Licht, »finde ich die Welt hier gar nicht so in Ordnung. Ich lobe mir ein Leben mit Internet und englischer Musik, dazu eine ausländische Frau an meiner Seite …«
Wieder fährt seine Hand über meinen Bauch bis hinunter zu meinen Schenkeln. Die Holzkonstruktion des Bankbetts fängt verdächtig an zu knarren.
»Riccardo, nicht!«, flüstere ich. »Bachisia könnte uns hören. Wir parken genau vor ihrem Schlafzimmerfenster.«
»Bachisia ist schwerhörig.«
»Ist sie nicht!«
»Wenn sie schläft, schon.«
»Aber du weißt doch gar nicht, ob sie schon schläft.«
»Annika«, Riccardo küsst langsam meinen Hals und arbeitet sich über meine Schulter langsam tiefer, »es ist mir egal, capito ? Das Risiko gehe ich gerne ein.«
»Erschießen werden sie uns hoffentlich nicht dafür«, seufze ich ergeben und kuschele mich noch dichter an ihn.
Draußen kommt wieder starker Wind auf, und unser Wohnwagen wankt.
14.
Am Montagmorgen entdecke ich Markus in der Hotelhalle.
Verdammte Axt.
Was zur Hölle macht der denn hier?
Strategisch gut positioniert wie ein Storch im Salat, hat er auf einem Loungechair mitten in der Lobby Platz genommen. Er trägt einen hellen Leinenanzug und ist völlig versunken in die News einer englischen Finanztageszeitung. Wie gewohnt hat er die Zeitung in einer Art und Weise aufgeschlagen, dass jeder Passant von seiner anspruchsvollen Lektüre hochgradig beeindruckt sein wird. Zumindest denkt er das, auch wenn er es nie, nie, niemals zugeben würde.
Unauffällig versuche ich auf dem Absatz kehrtzumachen, aber da hat er mich schon gesehen.
»Hey, Annika«, ruft er lässig und viel zu laut, »how is it going ? «
Auch das ist bei ihm Programm: Mit Vorliebe tut er so, als wäre er in welchen Situationen auch immer dermaßen ins Anglophile abgetaucht, dass ihm ein spontanes deutsches »Wie geht es dir?«
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