Amore siciliano
stand sie also plötzlich in der Tür zum Frühstücksraum und winkte mir zu.
»Hossa!«, rief Ole aus. »Wer ist das denn?«
»Eine Erscheinung«, hauchte Jakob. »Das Ende naht, wir haben Halluzinationen!«
»Ale! Ciao!« Jakobs Erscheinung kam quer durch den Raum geradewegs auf mich zu, legte die Gebäcktüte vor mir ab und schmatzte mir links und rechts ein Küsschen hinters Ohr. »Eccomi qua, da bin ich! Ich habe doch gesagt, ich komme euch auf dem Hof besuchen! Hach, sieht das gemütlich aus hier, ich hab mich direkt für ein paar Tage eingebucht. Sei doch so nett und stell mich deinen Freunden vor!«
Ich hatte meine Sprache noch nicht wiedergefunden, also erledigte Carla einfach alles selbst: »Hallo! Ich bin Carla, eine Freundin von Ale!«
»Wer ist Ale?«, fragte Malte, der auf der Leitung stand.
»Damit meint sie mich. Das ist meine Lebensretterin aus Taormina«, klärte ich die anderen auf und erwiderte Carlas Begrüßung. Ich fand sie ja ganz nett, aber dass sie hier so einfach hereinschneite, noch dazu in dieser Aufmachung, war schon recht aufdringlich. Und was sollte das überhaupt bedeuten: »Ich habe mich hier eingebucht«?
»In mansarda, mein Zimmer ist ganz oben im Dachgeschoss, ich freu mich richtig, ein paar Tage auf dem Land zu verbringen. Taormina wurde langsam öde. Und? Was liegt heute bei euch an? Wo wird gedreht? Kann ich euch zuschauen oder vielleicht sogar helfen?«
»Wat will die?«, fragte Dieter.
»Sie interessiert sich sehr für Filme und würde uns gern bei der Arbeit über die Schulter schauen«, schwächte ich etwas ab. »Meinst du, das wäre möglich?«
»Zuschauer beim Drehen einer Doku, det hab ick ochnoch nich jehört«. So überrascht, wie er war, berlinerte er besonders stark. »Sie könnte doch auch so etwas wie unser Best Boy sein«, meinte ich. »Immerhin kennt sie sich hier aus und hat Kontakte.«
Dieter war noch nicht so überzeugt von dem Vorschlag. »Wat solln det für’n Best Boy sein? Die kann doch noch nich ma ihre Handtasche richtig tragen!«
»Posso fare il trucco, ich könnte auch die Maske übernehmen«, schlug Carla vor, die merkte, dass über ihre Anwesenheit diskutiert wurde.
Ich wiederholte ihr Angebot, aber Dieter schüttelte wieder den Kopf. »Wozu sollten wir ’ne Maske brauchen?«, fragte er. »Die paar Olivenbauern, die wir filmen, sind doch gerade wegen ihrer authentischen Falten interessant. Aber meinetwejen kann sie uns ein wenig über die Schultern schauen, wenn ihr se mitnehmen wollt«, fügte er an die Männer gewandt hinzu.
Jakob nickte begeistert: »Klar, das machen wir!« Ole zuckte gleichgültig die Schultern.
Das war in meinen Augen eine Zweidrittelmehrheit. Ich übersetzte Carla, dass sie Jakob, Ole und Malte zur Fabrik nach Messina begleiten durfte, um die verlorengegangenen Aufnahmen zu wiederholen. Sie freute sich riesig und suchte sofort ihr Zimmer auf, um sich »drehfertig« zu machen.
Damit war es beschlossene Sache. Jakob freute sich sichtlich und ging mit Dieter zum Bus, um die Ausrüstung zusammenzustellen. Malte hingegen fand Carla unmöglich. »Warum schleppst du so eine hier an, die steht doch nur im Weg!«
»Ich hab sie nicht angeschleppt, sie ist von ganz allein gekommen!«, wehrte ich seine erneute Kritik ab. »Und außerdem, wer weiß, vielleicht ist Carla euch ja ganz nützlich. Auf jeden Fall bringt sie sicher Schwung in euren Tag, du wirst mir noch dankbar sein. Und jetzt hör bitte auf, zu nörgeln, das nervt langsam!«
»Ach was«, wiegelte Malte ab. »Du verträgst einfach keine Kritik! Kein Wunder, bei deinem Elternhaus. Fühlst dich wahrscheinlich zu so einer Neureichen hingezogen.«
Das war ja wohl der Gipfel.
»Carla hat mir das Leben gerettet, und es ist nicht verwerflich, Geld zu haben. Außerdem: Wenn irgendjemand nichts mit neureichem Getue gemein hat, dann bin das ja wohl ich. Du weißt ganz genau, was für ein Verhältnis ich zu meinen Eltern habe, besonders, seit wir zusammen sind!«
»Moment mal, nun gib mir nicht die Schuld an deinen Familienproblemen.«
Mit meiner Familie hab ich derzeit weniger Probleme als mit dir, dachte ich.
Das heißt, ich dachte, dass ich das nur gedacht hatte. In Wirklichkeit aber waren mir die Worte über die Lippen gerutscht und Malte starrte mich irritiert an.
»Was willst du damit sagen?«
»Dass ich das, was zwischen uns derzeit läuft, nicht mehr für eine liebevolle Beziehung halte.«
Wie bei unserem gestrigen Streit hatten wir auch diesmal ein
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