Amors Glücksfall (German Edition)
Das metallische kleine Ding an der Decke baumelt nach und gibt sich funktionstüchtig. Frau Lippers lächelt zufrieden, geht an ihren Holztisch vor der Tür zum Bindezimmer und wischt sich erst jetzt die Hände an einem Tuch ab. Ich folge ihr mit dem Handy in der Hand, ohne es aufzuklappen und die Nachricht zu lesen.
„Ich bin wohl doch zu alt!“, stellt sie fest, wartet, bis ich bei ihr angekommen bin, und lächelt das weise, verschmitzte Lächeln, das einer Katze gut zu Gesicht stünde. Ich überlege. „Wo kommt jetzt diese Assoziation her?“ Katze, Katze? Ach ja, die Grinsekatze aus Alice im Wunderland. Eine der Figuren in unserem Märchenwald. Glücklich darüber, dass mein Gedächtnis besser funktioniert, als Frau Lippers’ Ohren, trete ich näher und lege meine Hände samt Telefon auf den Tisch vor sie.
„Lange nicht mehr gesehen“, beginne ich. Die Feststellung ist nicht gelogen, wenn auch in ihrer Welt meine Besuche maximal seit zwei Wochen ausgeblieben sind. Sie sieht mich freundlich und doch noch immer ein bisschen musternd an. Vielleicht bilde ich es mir ja nur ein, aber irgendwie beunruhigt mich dieser Blick.
„Was haben wir heute?“, fragt sie. Na ja, was haben wir schon: kein Geld, keine Ahnung, wann das Geld kommt und eine Frage wegen der Karte, von der ich keine Ahnung habe, was es für eine Karte sein soll. Ich klappe das Handy auf, während mich die Grinsekatze dabei beobachtet. Die Sache mit dem Geld klärt sich auf, während ich die Nachricht lese. Nein: nicht ganz. Aber zumindest kenne ich den Grund dafür. Es ist eine SMS von Paul und ihr Inhalt gibt mir noch mehr Grund zur Sorge.
„Entschuldigung“, sage ich und will schnell nach draußen gehen, um zu telefonieren. Geht allerdings nicht, ist mir zu nass. Ich wähle die Nummer und hoffe darauf, dass die Sache sich gleich aufklärt.
„Ja?“ Er spricht mich nicht einmal mit meinem Namen an.
„Was heißt hier, wir haben ein Problem?“, komme ich sofort auf den Punkt. Offenbar ist ihm meine neue Stimme noch immer ungeheuer. Noch immer scheint es für Paul befremdlich zu sein, einen dicken Riesen für seinen Freund zu halten.
„Ähm“, stammelt er. „Es ist so, dass ich nur 40.000 Euro aufbringen kann. Mehr geht nicht, meine Bank stellt sich quer.“ Ich überlege. Fehlen noch 60.000.
„Und weiter?“, frage ich, drehe mich um und sehe zu Frau Lippers, die sich hingesetzt hat. Nur noch der winzige Kopf ist hinter dem Tisch zu sehen. Der Hinterkopf genaugenommen. „Hoffentlich hört sie nicht zu“, denke ich.
„Ich habe 30.000 Euro in Aktien in meinem privaten Depot, die ich jederzeit verkaufen kann“, schlage ich vor. Macht 30.000 Euro Lücke. „Was meinst du?“, gebe ich den Ball zurück. Paul räuspert sich auf der anderen Seite der Leitung. Ich kann ihn mir bildlich vorstellen. Wenn ihn eine Situation überfordert, räuspert er sich, so als könnte er dabei aus seiner Haut schlüpfen und davon laufen.
„Ich habe mit dem Finanzamt telefoniert“ , sagt er.
„ Ja und?“, schreie ich in Gedanken. Aus Rücksicht auf die Blumenfrau, behalte ich das richtige Schreien allerdings für mich. „Spann’ mich nicht auf die Folter“, sage ich nur und da ich Herrn Moser bereits kennengelernt habe, befürchte ich den Rest seiner Antwort bereits zu kennen.
„Er lässt sich auf keine Diskussionen ein.“ Für einen Moment rechnet Paul Fischer nach und redet nicht. Ich bin mir sicher, dass er nachrechnet. Das Aktiendepot, das ich bisher als meinen Notgroschen gesehen habe und für das es gerade genau die falsche Zeit zum Auflösen ist, hat er in seiner Rechnung bis eben nicht berücksichtigt. Es dauert länger , als ich gedacht habe, bis er auf die fehlenden 30.000 kommt.
„Paul?“, hake ich nach. „Ich brauche die Freigabe!“
„Ich weiß, aber ...“ Er atmet schwer. „Ich habe vielleicht eine Idee“, sagt er unsicher. Ich weiß nicht, ob ich ihm glauben soll. Vielleicht ist es nur ein Versuch , mich hinzuhalten. Es ist nur noch ein Tag bis Donnerstag und ich weiß, dass mir das Geld für das Speeddating sogar schon vorher fehlt. Die Einladungskarten sind bestellt, beziehungsweise schon auf dem Weg zu den Kunden. Und damit ist das Marketing keinesfalls ausgereizt. Ich denke an die Plakate, die turnusmäßig überall in der Stadt verteilt werden, an die Radiowerbung und an den E-Mail- und SMS-Verteiler. Das alles kostet Geld und das am besten gestern. Mich hinzuhalten, wäre jetzt also ein Problem. „Lass mich
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