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Amsterdam

Amsterdam

Titel: Amsterdam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McEwan
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balancierend, das unrasierte Gesicht im Dunkel des Schlafzimmers bläulich-weiß, um sich her Briefe, Postwurfsendungen und Zeitungen – wahrhaftig ein Bild der Arbeitslosigkeit. Beschäftigungslos. Plötzlich begriff er das Wort aus den Wirtschaftsseiten der Zeitung. An diesem Dienstagmorgen standen ihm viele beschäftigungslose Stunden bevor, in denen er über die Demütigungen und Ironien nachbrüten konnte, die sich gestern bei seiner Entlassung gehäuft hatten. Zum Beispiel die merkwürdige Art, wie das Entlassungsschreiben von einer arglosen Redakteurin in seinem Büro abgegeben worden war, derselben schluchzenden Legasthenikerin, die er vor dem Rausschmiß gerettet hatte. Sodann das Schreiben selbst, in dem man ihn höflich zu kündigen ersuchte und ihm im Gegenzug ein volles Jahresgehalt anbot. Es gab einen versteckten Hinweis auf die Klauseln seines Vertrages, womit die Herausgeber, wie er annahm, ihn, ohne es aussprechen zu müssen, daran zu erinnern wünschten, daß es keinerlei Abfindung geben werde, falls er sich weigere und sie zwinge, ihn zu entlassen. [175]  Das Schreiben endete mit der freundlichen Bemerkung, daß sein Beschäftigungsverhältnis mit dem heutigen Tage jedenfalls beendet sei und daß das Herausgebergremium ihm zu seiner brillanten Amtsperiode als Chefredakteur gratuliere und für die Zukunft alles Gute wünsche. Das war’s dann also. Er mußte seinen Posten räumen, ob mit oder ohne sechsstellige Geldsumme.
    In seinem Kündigungsschreiben hatte Vernon darauf hingewiesen, daß die Auflage um mehr als 100   000 Exemplare gestiegen war. Allein diese Zahl, die vielen Nullen, hinschreiben zu müssen tat ihm in der Seele weh. Als er ins Vorzimmer trat und Jean den Umschlag übergab, schien sie Mühe zu haben, ihm in die Augen zu sehen. Und als er zurückging, um seine Habseligkeiten auf dem Schreibtisch einzusammeln, war es merkwürdig still im Gebäude. Sein Büroinstinkt sagte ihm, daß jeder Bescheid wußte. Er ließ die Tür offen, falls jemand aus Kameradschaft das Bedürfnis verspürte vorbeizuschauen – das ausgefahrene Geleise der Freundschaft. Was es zu packen gab, paßte mühelos in seine Aktentasche – ein gerahmtes Foto von Mandy und den Kindern, zwei Briefe pornographischen Inhalts, die Dana ihm auf Briefpapier des Unterhauses geschrieben hatte. Und es sah ganz so aus, als würde niemand hereinschauen, um ihm sein entrüstetes Mitgefühl zu bekunden. Keine lärmende Menge hemdsärmeliger Kollegen, die ihn im alten Stil mit großem Hallo verabschiedeten. Also gut, er mußte seinen Hut nehmen. Er betätigte den Summer und bat Jean, dem Chauffeur Bescheid zu sagen, daß er jetzt hinunterkommen werde. Gleich darauf teilte sie ihm mit, daß er keinen Chauffeur mehr habe.
    [176]  Er zog sich den Mantel über, nahm seine Aktentasche und ging ins Vorzimmer. Jean war eine dringliche Besorgung eingefallen, und auf dem Weg zum Fahrstuhl traf er niemanden, nicht eine Menschenseele, an. Der einzige, der dem Chefredakteur auf Wiedersehen sagte, war der Pförtner unten an der Rezeption, er war auch derjenige, der Vernon den Namen seines Nachfolgers verriet. Mr.   Dibben, Sir. Indem er unmerklich den Kopf neigte, gelang es Vernon, so zu tun, als sei er bereits im Bilde. Es regnete, als er aus dem Redaktionsgebäude trat. Er winkte ein Taxi heran, dann fiel ihm ein, daß er sehr wenig Bargeld bei sich hatte. Er nahm die Untergrundbahn und lief den letzten Kilometer im Platzregen zu Fuß nach Hause. Er steuerte geradewegs auf den Whisky zu, und als Mandy hereinkam, hatte er einen furchtbaren Krach mit ihr; dabei versuchte sie nur, ihn zu trösten.
    Vernon sackte mit seinem Tee in sich zusammen. Sein geistiger Schrittzähler registrierte die Kränkungen und Erniedrigungen. Nicht nur, daß Frank Dibben treulos war, daß seine sämtlichen Kollegen ihn im Stich gelassen hatten, daß jede Zeitung im Lande seine Entlassung bejubelte; nicht nur, daß das ganze Land das Zertreten des Flohs feierte und Garmony immer noch an der Macht war. Neben ihm auf dem Bett lag eine giftige kleine Postkarte voller Schadenfreude über seinen Sturz, geschrieben von seinem ältesten Freund, geschrieben von einem Mann von derartiger moralischer Überlegenheit, daß er es lieber zuließ, wenn eine Frau vor seinen Augen vergewaltigt wurde, als sich bei seiner Arbeit unterbrechen zu lassen. Abscheulich und verrückt. Rachsüchtig. So herrschte denn Krieg. Sei’s drum. [177]  Also los, es gab kein Zögern mehr. Er

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