Amy on the summer road
dir ja für besondere Gelegenheiten aufheben.« Sie zwinkerte mir zu, und ich gab mir Mühe, nicht rot zu werden. Als mich das erste – und letzte – Mal jemand in Unterwäsche gesehen hatte, sah diese weitaus unspannender aus. Aber das war Michael offenbar relativ egal gewesen, also spielte es vielleicht doch keine so große Rolle. »Jetzt zieh dich fertig an und dann checken wir mal die Lage!«, rief sie strahlend, klatschte in die Hände und ging zur Tür hinaus.
Als sie die Tür geschlossen hatte, zog ich mich wie befohlen um und musste mich dann erst einmal aufs Bett setzen und den Anfall von Traurigkeit überstehen, der mich plötzlich gepackt hatte. Bis gerade eben war mir gar nicht bewusst gewesen, wie sehr mir das Zusammensein mit einer Freundin gefehlt hatte und wie sehr ich Julia vermisste. Früher hatten wir uns immer zusammen zum Ausgehen fertig gemacht. Sie konnte toll frisieren und machte mir total gern die Haare, weil ihre so lockig waren, dass man ihrer Meinung nach nichts Vernünftiges damit hinbekam. Manchmal war das gemeinsame Hübschmachen in meinem Zimmer mit lauter Musik und Klamottenaussuchen besser als die eigentliche Party. Und nach der Party habe ich sie immer nach Hause gefahren, wobei wir dann den Abend noch mal ausführlich analysieren konnten.
»Also«, rauschte Bronwyn wieder ins Zimmer und sah auf die Uhr. »Wir müssen uns ganz schön beeilen, wenn ich dir noch eine Frisur verpassen und dich schminken soll. Wir haben nur noch eine Stunde.«
Und so kam es, dass ich in Klamotten zur Party ging, die fast allesamt nicht mir gehörten, die Schuhe inklusive. Bronwyn hatte Pumps mit Fersenriemchen ausgesucht, die mir zwar ein bisschen zu klein waren, aber sie wollte mich partout nicht in meinen Flip-Flops aus ihrem Zimmer lassen.
Mich im Spiegel anzusehen, nachdem Bronwyn ihr Werk vollendet hatte, war erstaunlich. Ich sah zwar nicht aus wie mein früheres Ich, denn so modebewusst war ich nie gewesen, aber zumindest eher wie das Bild, das ich von mir einmal gehabt hatte. Ich hatte etwas vor und danach bestimmt etwas zu erzählen. Natürlich war alles nur aufgemalt und würde mit dem Abschminken wieder verschwinden, aber für einen Abend war es eine schöne Abwechslung. Schließlich hatte ich schon gedacht, nie wieder so sein zu können.
Wir landeten in der lärmigen Küche des Quiet Dorm, wo Bronwyn sofort mit jemandem quatschte, den sie aus ihrer Chemievorlesung kannte. Ich stand ein bisschen abseits neben Roger, trank warmes Bier aus einem roten Becher, und alles kam mir wie ein Déjà-vu-Erlebnis vor.
»Du siehst wirklich toll aus«, bemerkte Roger. Überrascht sah ich ihn an, während er konzentriert in sein Bier schaute.
»Oh«, antwortete ich. Ich analysierte seine Bemerkung kurz und überlegte, ob das jetzt wieder so eine »Wenn ich dich sehe, wird mir ganz heiß«-Situation war. Aber diesmal konnte ich
nichts Verfängliches erkennen. Verlegen umfasste ich den Saum von Bronwyns Shirt und sagte einfach: »Danke.«
»Klar doch«, antwortete er und schwenkte das Bier in seinem Becher herum. Dann sah er auf und lächelte mich an. Ich hatte das Gefühl, dass er gerade noch etwas sagen wollte, als drei unterschiedlich stark alkoholisierte Typen in die Küche taumelten.
»Sullivan!«, brüllte der größte von ihnen und kam mehr oder weniger direkt auf Roger zu. »Hey!« Als er mich sah, blieb er stehen und schaute von mir zu Roger. »Mann«, sagte er und boxte Roger gegen die Schulter, ohne den Blick von mir zu wenden, »na, du hast ja vielleicht Feuer. «
Ich schaute zu Roger hinüber, der knallrot geworden war. Ich hatte keine Ahnung, was der Typ meinte, konnte mir aber gut vorstellen, dass es um meine Haare ging. »Bin gleich wieder da«, murmelte ich, ging durch die Küche und stellte mich neben Bronwyn. Eigentlich hatte ich vorgehabt, mich im Hintergrund zu halten, aber sie ergriff sofort meinen Arm, zog mich zu sich und machte Platz für mich im Kreis.
»Das ist Amy«, erklärte sie allen, während sie mein Oberteil glatt strich, mir an den Haaren zupfte und mich in meinen Rücken knuffte, damit ich gerade stand. Sie unterbrach damit einen Typen mit dicker Nerdbrille, der gerade hochwichtig über Kant referierte und gar nicht erfreut war, das Feld jemand anderem zu überlassen. »Sie kommt aus Kalifornien.« Ich blinzelte überrascht, denn das hatte ich ihr gar nicht erzählt. Offenbar wusste sie es von Roger. Ich spürte ein kurzes Ziehen in der Magengegend, weil
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