Amy on the summer road
und niemand schien es besonders eilig zu haben – ebenfalls ein großer Unterschied zu L. A. Überall gab es Pferdezeug zu kaufen, was kein Wunder war, schließlich
war hier die Heimat des berühmten Kentucky-Derbys. Das ist ein berühmtes Galopprennen, das jedes Jahr im Mai stattfindet. Mir fiel auf, dass manche Autos sogar Pferde auf dem Nummernschild hatten. Das fand ich irgendwie sympathisch. In Louisville ging es ausgesprochen entspannt zu, was ich so nicht erwartet hatte.
Lucien dirigierte uns am Louisville Slugger Museum vorbei, an dem ein gigantischer Baseballschläger lehnte, der so groß war wie das Gebäude. Fasziniert starrte ich ihn an und nahm mir vor, Roger am nächsten Morgen zu bitten, dort noch mal vorbeizufahren, damit ich ein Foto davon machen konnte. Charlie wäre bestimmt begeistert, denn er liebte Baseball über alles. Dieser Gedanke setzte mir ein bisschen zu, denn erst jetzt fiel mir auf, wie wenig ich in letzter Zeit an meinen Bruder gedacht – oder wie sehr ich die Gedanken an ihn verdrängt – hatte. Vermutlich war eher Letzteres der Fall. Aber ich mochte jetzt wirklich nicht an Charlie erinnert werden. Dazu war er viel zu sehr in alles verstrickt, was passiert war. Und dann noch das, was danach mit ihm los war ... Ich schaute aus dem Fenster und versuchte, mich nur auf das draußen vorbeiziehende Louisville zu konzentrieren.
Lucien lotste Roger zu einem ausgesprochen edel aussehenden Hotel. Vor dem Eingang gab es ein gigantisches Vordach, auf dem in goldenen Buchstaben THE BROWN stand. Es sah wirklich toll aus, lag allerdings preislich weit jenseits dessen, was wir uns leisten konnten.
»Wow, beeindruckend«, konstatierte Roger und warf mir einen Seitenblick zu. Ich hatte das Gefühl, dass er ebenfalls an die 400 Dollar plus Zerquetschte dachte. Mehr hatten wir
nicht. Aber so, wie dieser Laden aussah, musste man das locker für eine einzige Nacht hinlegen. »Also, ich bin mir nicht sicher, ob wir hier uns so was zum Übernachten ...«
»Keine Sorge«, beruhigte uns Lucien. »Wir wollen hier nur essen.«
»Ah«, antwortete Roger. »Verstehe.« Vermutlich waren die Restaurants in diesem Hotel auch ein klein wenig teurer als unsere üblichen Fast-Food-Läden und Diners, aber für eine Mahlzeit würde es schon reichen.
Lucien dirigierte Roger zum Eingang, und noch ehe wir etwas sagen konnten, wurden gleichzeitig drei Türen von Hotelpagen in weißen Mänteln geöffnet. Ich stieg aus und war wieder einmal froh über Bronwyns Sachen. Ich sah, wie Roger hastig sein weißes T-Shirt in den Bund seiner Jeans stopfte. Lucien ging auf den Pagen zu, der Rogers Tür geöffnet hatte, und schüttelte ihm die Hand. Dabei bemerkte ich, wie etwas Grünes aus seiner Hand in die des Hotelbediensteten wanderte. Dann führte er uns ins Hotel hinein, wobei uns zwei weitere Angestellte, die plötzlich wie aus dem Nichts auftauchten, die Türen aufhielten. Drinnen sah ich mich erst einmal staunend um. Jetzt war ich mir ganz sicher, dass dieses traumhafte Hotel für uns absolut unerschwinglich war. Über uns hingen prächtige Kronleuchter, auf dem Boden lag ein dicker gemusterter Teppich und überall glänzten Messingbeschläge.
Lucien geleitete uns durch die Lobby, die vor antik aussehenden Sofas, orientalischen Teppichen und Ölgemälden mit Pferden nur so strotzte. Von dort aus ging es ein paar Stufen hinunter zu J. Graham’s Café and Bar . Am Eingang
hatte sich eine Traube von Leuten gebildet, aber Lucien ging einfach nach vorn, woraufhin wir sofort einen Platz zugewiesen bekamen. Wir saßen an einem Ecktisch, von dem aus man Ausblick auf die ruhige Straße hatte, wo inzwischen die Laternen leuchteten. »Angenehmen Aufenthalt, Mr Armstrong«, murmelte der Empfangschef, nachdem er uns die Speisekarte gereicht hatte, und verschwand wieder.
Sprachlos starrte ich Lucien an. »Die kennen dich hier?«
Ein bisschen verlegen zuckte Lucien die Schultern. »Wir kommen schon seit Ewigkeiten regelmäßig hierher«, erklärte er uns. »Jedes Jahr zur Rennsaison mieten unsere Eltern eine Suite im elften Stock. Da kennt man das Personal dann irgendwann.«
»Klar«, antwortete ich, als wäre das vollkommen alltäglich und kein bisschen verunsichernd. Ich sah mich in dem geschmackvoll eingerichteten und eindeutig sehr teuren Restaurant um und überlegte, wie lange es her war, dass ich in einem solchen Lokal gesessen hatte. Stoffservietten waren Roger und ich jedenfalls schon länger nicht mehr begegnet. Ich
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