Amy on the summer road
leid«, sagte Lucien und zog das Glas wieder in die Tischmitte. »Wir wollten nur sehen, ob ich dich dazu überredet kriege.«
»Was?«, fragte ich und musste immer noch husten. Roger grinste unverändert. »Ihr beide?«
»Kleine Wette am Rande«, erklärte Lucien und warf einen Zwanziger auf den Tisch. »Willkommen in Kentucky.«
»Ich dachte, du wärst beleidigt, wenn ich ihn nicht trinke«, murmelte ich verlegen und beleidigt. Roger sah ziemlich amüsiert aus, lehnte sich zurück und steckte den Zwanziger ein. Ich addierte ihn im Hinterkopf zu unserem Reisebudget.
»Nee, nee«, beruhigte mich Lucien. Er schob mir mein Wasserglas hin. »Kannst du sicher gebrauchen.« Ich nahm das Glas und trank einen großen Schluck. »Ich finde Bourbon ekelhaft. Keine Ahnung, wie meine Mutter das runterkriegt. Wahrscheinlich schafft man das erst, wenn man über 50 ist und eh nix mehr schmeckt.«
»Tut mir leid«, entschuldigte sich Roger kleinlaut.
»Jaja, schon klar«, antwortete ich und versuchte, ihn wütend anzustarren, was mir aber nicht so recht gelang.
»Zum Wohl?«, fragte Lucien und hielt sein Wasserglas hoch. Ich hob mein Teeglas und Roger seine Cola.
»Prost«, sagte ich, und wir stießen an.
Lucien sah Roger an. »Also du und Hadley, ja?«
»Hmm«, machte Roger und räusperte sich. »Na ja, wir waren während des Studienjahres zusammen. Als die Ferien anfingen, haben wir uns getrennt.«
»Lass mich raten«, seufzte Lucien. »Du hast seitdem nichts von ihr gehört?«
»Nicht so richtig«, erwiderte Roger. »Ich meine, wir haben heute kurz miteinander geredet, aber ...«
»Und jetzt ruft sie dich nicht zurück?«
»Nein«, bestätigte Roger langsam.
Lucien schüttelte den Kopf. »Tut mir echt leid«, erklärte er, »aber ich fürchte, das ist einfach ihr MO.«
»Was soll das denn heißen?«, wollte ich wissen.
»Modus Operandi«, erläuterte Lucien. »Ist Latein.«
»Jaja.« Ich verdrehte die Augen. »Schon klar, was es bedeutet. Ich wollte nur wissen, was du damit sagen willst.«
»Lass mich noch mal raten«, fuhr Lucien fort, ohne auf meine Frage einzugehen. »Sie hat dir auch nicht gesagt, weshalb sie Schluss macht, stimmt’s?«
»Wer sagt denn«, fragte Roger ein bisschen aufbrausend, »dass sie Schluss gemacht hat? Vielleicht war ich es ja auch.« Lucien sah ihn an und Roger seufzte. »Nein, keine Erklärung.«
»Ihr MO«, sagte Lucien in meine Richtung. »Ich krieg doch mit, wie sie das mit den ganzen armen Trotteln – Entschuldigung – macht...«
»Schon okay«, erwiderte Roger.
»... und das seit der Mittelstufe. Ich fürchte, so läuft das bei ihr immer. Du bist in den Hurrikan Hadley geraten. Sie taucht auf, wirbelt alles durcheinander und hinterlässt nichts als Zerstörung und Ratlosigkeit.«
»Und das kommt öfter vor?«, fragte Roger gequält.
Lucien nickte, woraufhin wir uns alle plötzlich sehr für unsere Getränke interessierten. »Aber noch nie ist jemand wegen diesem ganzen Mist hier persönlich aufgetaucht«, brach Lucien das Schweigen. »Echt gut, dass du hergekommen bist. Vielleicht schaffst du es ja, mit ihr zu reden.« Er hob sein Glas in Rogers Richtung. »Ich wünsch dir jedenfalls viel Glück dabei.«
Ich schaute zu Roger hinüber, der immer noch in sein Glas starrte, und hatte das Gefühl, dass ich gerade etwas mitbekam, was mich absolut nichts anging.
»Aber was weiß ich denn?«, fragte Lucien einen Tick zu laut, weil es ihm vielleicht genauso ging wie mir. »Ich meine, ich bin ja nur ihr kleiner Bruder. Ist ja nicht so, dass sie sich mir irgendwie anvertrauen würde.« Dann schaute er zu mir, und offenbar in dem Bemühen, das Thema zu wechseln, fragte er mich: »Hast du eigentlich Geschwister?«
»Einen Bruder«, antwortete ich und merkte, dass ich heute Abend öfter an Charlie gedacht hatte, als mir lieb war. Lucien hätte sich also kein unpassenderes Thema für mich aussuchen können.
»Älter als du?«
»Jünger«, antwortete ich. »Drei Minuten.«
Luciens Augenbrauen schossen nach oben. »Ohne Scheiß, ihr seid Zwillinge?«, fragte er verblüfft. »Dann habt ihr bestimmt einen super Draht zueinander, was?«
Ich fühlte einen Stich in der Magengegend. Als wir jünger waren, gab es Zeiten, als Charlie und ich uns ganz gut vertragen hatten. Aber insgesamt kam es mir so vor, als hätten wir uns die meiste Zeit nur gestritten. Als wäre da eine Mauer zwischen uns, die sich nicht durchbrechen ließ. »Na ja, eigentlich nicht«, antwortete ich daher.
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