An einem Tag im Januar
effizient, zielgerichtet.
Er war schon fast aus der Tür, als ihm ein letzter Einfall kam. Er ging in die Küche und leuchtete mit seinem Handy, bis er die Flasche Maker’s Mark in dem Schränkchen über Lews Kühlschrank gefunden hatte. Sie passte genau in die große Außentasche an seinem Mantel. Dann fischte er einen Zwanziger aus seiner Brieftasche, legte ihn hin, und bevor er es sich anders überlegen konnte, schlüpfte er schnell zur Tür hinaus und war weg.
IV
Erscheinung
NEUNZEHN
Er erreichte das Victorian Village kurz vor Mitternacht. Der Volvo hatte Mühe, gegen die Kälte anzuheizen, die Windschutzscheibe beschlug immer wieder von Marks Atem. Ein paar versprengte Schneeflocken taumelten aus der Dunkelheit über das Pflaster. Er war langsam hergefahren, über Nebenstraßen. Er war niemandem begegnet außer einem einsamen Streufahrzeug, das auf der Olentangy River Road nordwärts rumpelte.
An ihrem alten Haus angekommen fuhr er erst einmal um den Block – ganz unauffällig, dachte er und hätte fast laut aufgelacht –, ehe er schließlich auf der anderen Seite des Parks anhielt. Er schaltete die Scheinwerfer aus, ließ die Heizung aber laufen.
Das Haus lag als dunkle Masse hinter seinem Wall aus Bäumen, nur die breite Rundung des Turms ragte in den Schein der Straßenlaterne. Zwei Lichter blinkten zwischen den Ästen hervor: eins, das im Wohnzimmer brannte, und eins oben in Brendans altem Zimmer.
Chloe musste da gewesen sein. Sie war auf dem Weg zu ihren Eltern hier vorbeigefahren; sie hatte die Lampen angeknipst und dann vergessen.
Zumindest war das eine leichter verdauliche Erklärung als diese: dass Brendan Mark schon erwartete – dass er ein Willkommenslicht brennen ließ.
Mark zog den Whiskey aus der Manteltasche. Ohne den Blick von dem oberen Fenster zu wenden, hob er die Flasche an die Lippen und schluckte einmal, zweimal.
Dann stopfte er sie mit tränenden Augen in die Tasche zurück, stieg aus dem Auto und trabte quer durch den Park. Kleine Schneekristalle stachen ihn in die Wangen. Die Flasche schlug gegen seine Hüfte. Er ging an der Haustür vorbei bis zur Straßenecke, bog auf der Pennsylvania Avenue nach links und gleich wieder nach links, in den Durchgang, der die Häuserzeile von West nach Ost durchschnitt. Hier hinten war es dunkler, nur auf halber Strecke leuchtete eine einsame Lampe an einem Mast, und aus zweien der Gärten schien ein Verandalicht über den Holzzaun. Die Schatten am Boden waren undurchdringlich, schwindelnd schwarz. Mark tauchte in sie ein wie in eisiges, tiefdunkles Wasser.
Er watete vorwärts. Ein Hund knurrte, nah, aber unsichtbar. Aus einer Mülltonne nicht weit weg stank es warm, fast schon greifbar. Einmal trat er in ein Schlagloch und stolperte, aber er ruderte mit seinen unsichtbaren Armen und fing sich wieder.
Er ging wie in Zeitlupe. Grübelnd: Was hatte Chloe hier gewollt? Hatte sie mit Brendan geredet? Ihm gesagt: Daddy kommt?
Und dann stand Mark am hinteren Ende des Grundstücks, neben dem zwei Meter hohen Lattenzaun. Er und Lew hatten den Zaun in dem Sommer und Herbst vor Brendans Geburt selbst gebaut; ein Kind bedeutete, dass sie einen abgeschlossenen Garten brauchten, in den sich keine streunenden Hunde verirren konnten, keine Collegestudenten, die betrunken nach einer Abkürzung suchten. Keine Penner.
Er drückte die Klinke am Tor herunter: abgesperrt. Aber er hatte ja auch nicht erwartet, dass es ein Spaziergang sein würde, oder? Nein, hatte er nicht.
Mark vergewisserte sich, dass er allein war, dann fasste er die Zaunkante, stemmte sich hoch – seine Füße scharrten überlaut auf dem Holz – und sprang hinab in den dunklen Garten. Er hatte Glück: Statt auf einem Haufen Werkzeuge oder einem spitzen Stein zu landen, kam er nur auf gefrorener Erde auf, glitt aus und setzte sich unsanft auf den Hosenboden.
Ein Bewegungsmelder flammte über der Veranda auf. Mark kauerte sich dicht an den Zaun und schaute nach allen Seiten. Das einzige Fenster, von dem aus man ihn sehen konnte, war das Schlafzimmerfenster von Kurt Upchurchs ehemaligem Haus. Aber das Fenster blieb dunkel, auch der Vorhang bewegte sich nicht. Er wartete ein paar lange Minuten, doch niemand blies zur Jagd auf ihn. Er war noch immer allein, unsichtbar.
Er ließ den Blick durch seinen alten Garten wandern. Er erkannte ihn kaum wieder. Wo früher Gras gewuchert hatte, herrschte nun geometrische Strenge. Die hintere Hälfte bestand aus leeren, geharkten Beeten, die mit
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