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An einem Tag im Januar

An einem Tag im Januar

Titel: An einem Tag im Januar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Coake
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Zügen daraus. Als er sich wieder aufrichtete, schwankte die Dunkelheit.
    Er konnte nicht weg. Konnte nicht kneifen. Der Junge war eine Sache. Chloe eine andere.
    Chloe. Die Frau, die er geheiratet hatte. Mit der er ein Kind gezeugt hatte.
    Bevor Brendan kam, hatten sie hier in der Küche ab und zu einen Quickie geschoben, Chloe auf der Kante derselben Arbeitsplatte, die Mark jetzt mit den Händen umfasste. Der Winkel stimmte für sie beide. Alles hatte für sie gestimmt, bis er es versiebt hatte. Bis sie es versiebt hatten.
    Ich habe nie aufgehört, dich zu lieben, hatte sie gesagt und ihn auf die Wange geküsst.
    Allison hatte auch nicht aufgehört, ihn zu lieben. Noch nicht.
    Mark hob die Flasche wieder an den Mund. Jetzt war er schon hier, schon im Haus. Der Hausfriedensbruch war schon begangen. Wenn er jetzt umkehrte, hatte er nichts bewiesen außer seiner Feigheit. Dass er nicht Manns genug war für das, worum Chloe ihn bat. Dass er nicht das Rückgrat aufbrachte, das er Allison schuldete. Dass er nach all den Jahren immer noch nicht bereit war zu handeln, wie ein Vater es musste.
    Wir ziehen das durch, wir beide.
    Wieder lauschte er mit angehaltenem Atem und hörte nichts – nein, hier war kein lebendes Wesen außer ihm. Die Zeit war da. Langsam näherte er sich den Stufen.
    Die Treppe schien sich auf unnatürliche Weise zu verdüstern, als Mark den Fuß daraufsetzte. Sein Atem hallte feucht von den nahen Wänden wider wie das Keuchen eines aufholenden Verfolgers. Die Stufen ächzten unter seinen Tritten.
    Am Treppenabsatz hielt er inne, diesem Knick, diesem Knoten aus Schwärze. Dieser … Stelle. Er setzte sich auf die Stufe gleich oberhalb der Kehre. Der Treppenabsatz, ein guter Meter im Quadrat, befand sich fast exakt im Zentrum des Hauses. Seine Gurgel, hatte Mark immer gedacht, oder sein Herz.
    Er versuchte es nicht zu sehen. Aber da lag Brendan als verrenktes Häuflein zu Marks Füßen, die unsichtbar in den Schatten verschwanden. Den einen Arm unter seinem Körper eingezwängt, den anderen abgespreizt neben dem Kopf. Den Hals seitwärts geknickt. Das Kinn gegen die Treppenkante gedrückt. Ein blaues Auge starrte zwischen wirren Haarsträhnen hervor.
    Das Haus schien sich zusammenzuziehen, die Kehle zu verengen.
    War es das? War es bei Chloe auch so gewesen?
    »Brendan«, flüsterte er, »ich bin gekommen.«
    Mark kniete sich hin, drückte die Hand auf die leeren Dielenbretter. Er blickte die Stufen hinauf zu dem gelben Lichtviereck dort oben. Gleich – er war sich sicher – musste in diesem Viereck die Silhouette eines Jungen erscheinen. Aber er sah nichts.
    »Ich bin allein«, sagte er, so überwältigt von Enttäuschung, dass er fast zu weinen anfing.
    Er stand auf. Er versuchte sich zu sagen: Es ist ein Schwindel. Alles nur Einbildung.
    Aber das Haus fühlte sich für ihn nicht leer an. Es fühlte sich lauernd an. Als säße irgendwo jemand versteckt, der zusah, wie Mark im Dunkeln vor sich hin murmelte.
    Er fasste das Geländer fester. Die Stufen über ihm schienen steiler zu werden.
    »Bist du da?«
    Keine Antwort.
    Zu deiner Mutter bist du gekommen. Aber mich rufst du und versteckst dich dann?
    Weil deine Mutter nicht mit mir hier ist? Weil ich eine andere Frau heirate?
    Weil du selbstsüchtige Ziele verfolgst?
    »Selbstsüchtig«, flüsterte er und wartete dann, horchte. Er hörte nichts als verstohlenes Knistern im Gebälk, seine eigenen rauen Atemzüge.
    Er stieg hinauf, sein Herz zu einem Stein geballt.
    Die Treppe mündete mehr oder weniger mittig in den L-förmigen Flur, der das Obergeschoss in zwei Hälften teilte. Geradeaus – quasi im Bug des Hauses – lag hinter dem breiten, dunklen Türbogen das Halbrund des Turmzimmers, Marks altes Büro. Der Lichtschimmer aus Brendans offener Zimmertür reichte weit genug, dass Mark ein Stück hineinsehen konnte. Auch Connie Pelham hatte sich hier offenbar ein Arbeitszimmer eingerichtet, aber statt Schreibtisch und Computer stand hier nun ein schwerer Holztisch mit einer Nähmaschine und wahllos verteilten Stoffhaufen: Metern um Metern bedruckter Seide.
    Stand ihr Sohn manchmal auf der Türschwelle und beobachtete sie beim Arbeiten, so wie Brendan manchmal auf Marks Türschwelle gestanden hatte – unschlüssig, ob er stören konnte oder nicht?
    Stand Brendan immer noch da?
    Stand der Schattenjunge draußen im Flur, verwirrt vom Anblick dieser fremden Frau im Büro seines Vaters? Aber vielleicht sah er sie ja gar nicht. Vielleicht merkte er nur,

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