An einem Tag im Januar
großen Quarzblöcken eingefasst waren – ein Wunder, dass er sich bei seinem Sprung nicht an so einem Brocken die Rippen gebrochen hatte. In der Mitte hatten entweder Margie oder Connie einen Baum gepflanzt – Mark konnte ihn nicht bestimmen, aber die kahlen Äste reichten ihm schon hoch über den Kopf. Die zum Haus hin gelegene Gartenhälfte hatten sie zu einer Terrasse umgestaltet; hier war die Wiese einer Fläche aus Beton und Steinfliesen gewichen, auf der ein weißer schmiedeeiserner Tisch und Stühle standen, alle dick mit Eis überkrustet. Dahinter führte noch die kleine Holzveranda von früher zur Küchentür hinauf.
Diese Veränderungen zu sehen schmerzte. Natürlich konnte es nicht mehr dasselbe Haus sein, natürlich hatten andere hier gewohnt und taten es noch. Darauf war Mark vorbereitet. Er und Chloe hatten vor Langem jeden Anspruch darauf aufgegeben. Und doch schien ihm das alte Haus – der Garten, den er kannte, das Haus, das er kannte – hier gefangen, weggesperrt hinter den neu gepflanzten Bäumen. Daran war Mark schuld. Es war seine Entscheidung gewesen, von hier wegzugehen. Es war sein Versäumnis.
Nein. Keine Selbstzerfleischung jetzt. Wenn er sich bei seinem Sturz verletzt hatte, tat es zumindest nicht weh – also rappelte er sich auf und lief geduckt vor bis zu den Verandastufen. Er setzte sich auf die unterste und schnaufte dann erst ein paarmal durch. Wie gelangte er nun am besten ins Haus? Indem er das Fenster neben der Küchentür einschlug? Mit der Schulter die Tür aufstemmte?
Aber wer sagte, dass es so schwierig sein musste? Connie hatte einen kleinen Sohn, den sie alleine großzog. Sie war eine ängstliche Mutter, überfürsorglich. Was war, wenn sie länger arbeiten musste? Wenn ihr etwas zustieß? Jacob musste ins Haus gelangen können. Bestimmt hatte er seinen eigenen Schlüssel. Aber kleine Jungen verloren Schlüssel. Kleine Jungen waren unzuverlässig.
War also nicht anzunehmen, dass sie irgendwo einen Reserveschlüssel versteckte? Und zwar hier auf der Rückseite, nicht einsehbar von der Straße?
Das Tor war abgesperrt. Vielleicht hatte sie sogar einen Torschlüssel draußen auf dem Weg versteckt und den fürs Haus hier drin. Er fuhr oben am Türrahmen entlang. Nein. Zu einfach – und für einen Neunjährigen viel zu hoch.
Die Blumentöpfe auf der Verandabrüstung vielleicht? Der Topf mit dem aufgeprägten Puhbär, auf dem in knubbeliger Schrift honick stand?
Mark kippte ihn zu sich her; darin war nur ein kleiner Halbmond aus Eis. Aber in dem feuchten Fleck darunter? Ein mehrmals umgeschlagener Gefrierbeutel mit einem Schlüssel.
Nicht übel. Ganz und gar nicht übel.
Marks Finger, pelzig vor Kälte, nestelten den Schlüssel aus dem Beutel hervor. Rasch zog er die Fliegentür auf – sie quietschte – und steckte den Schlüssel ins Schloss.
Und weil er keine Angst hatte, weil es nichts zu befürchten gab – weil er kein Weichei war –, drehte er ihn; der Riegel schnappte zurück. Mark drückte die Tür auf und stand zum ersten Mal seit Jahren wieder in dem einzigen Haus, das er jemals sein Eigen hatte nennen dürfen.
ZWANZIG
Die Luft in der Küche war süßlich warm. Mark lauschte konzentriert, mit angehaltenem Atem, doch im Haus blieb alles still. Kein Alarm gellte los, keine Stimme rief: Wer ist da?
Bis auf den Lichtschein, der über den Flur vom Wohnzimmer hereindrang, lag die Küche im Dunkeln. Aus alter Gewohnheit tastete Marks Hand nach dem Schalter neben der Küchentür. Aber er verbot sich, ihn umzulegen.
Das Haus fühlte sich fremd an. Noch veränderter sogar als der Garten. Er fürchtete sich davor, die neue Fremdheit Kontur annehmen zu sehen.
Dennoch sprangen ihn die Unterschiede an. Auch jetzt noch roch er – voll Dankbarkeit und Trauer – die vertrauten Düfte von altem Firnis, Farbe und Putz. Aber es fehlte ihr Geruch – der nach Chloe und Brendan und ihm selbst.
Wenn Chloe hier gekocht hatte, dann hatte die Küche nach Tomaten geduftet, nach Knoblauch, Kaffee; Fleisch hatten sie fast immer draußen gegrillt. Jetzt lag ein schwacher Fettdunst in der Luft – billige Hamburger, Essen, das im Kühlschrank schlecht wurde. Fleisch im Müll.
Das Haus roch nach anderen Leuten, anderen Leben, nach der Haut und dem Schweiß fremder Menschen. Connie und ihr Sohn, und davor Margie, hatten die zehn Jahre der Familie Fife aus der Luft getilgt. Oder doch nicht?
Neuerliche Angst kroch in Mark hoch: eine Mahnung an das, was er vorhatte. Was er
Weitere Kostenlose Bücher