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An einem Tag im Januar

An einem Tag im Januar

Titel: An einem Tag im Januar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Coake
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dafür, Mark. Für die Grausamkeit meines Gottes im Himmel.«
    Sie ließ seine Hände los und lehnte sich zurück. In ihm drehte sich alles.
    »Woher wissen Sie diese – diese Dinge?«, fragte er.
    Trudy wischte sich wieder die Augen. Richtete dann neuerlich den Blick auf ihn. »Sie haben vielleicht meine Narbe bemerkt.«
    »Ich …«
    »Schscht. Natürlich haben Sie. Jeder bemerkt sie. Der Narbe verdanke ich mein Wissen.
    Mein Vater hatte eine Werkstatt für landwirtschaftliche Geräte, keine zehn Meilen von hier«, sagte sie. »Sie lag gleich hinter unserem Haus. In dem Sommer, als ich fünf war, hatte ich mich in die Werkstatt geschlichen, um meinem Vater und meinen großen Brüdern bei der Arbeit zuzuschauen. Sie fuhren einen Laster auf einer Hebebühne hoch, und die Hebebühne versagte. Der Laster krachte herunter, auf meinen Bruder Jack, der sechzehn war. Und bei dem Aufprall platzte ein Reifen, und ein großer Gummifetzen flog quer durch die Werkstatt und traf mich im Gesicht, so dass ich mit dem Hinterkopf gegen die Wand geschleudert wurde – Schädelbruch. Ich lag drei Tage im Koma.«
    »Das tut mir leid«, sagte er.
    Trudy lächelte. »Warum soll es Ihnen leidtun? Nicht Sie haben gehandelt, sondern Gott. Es gibt keine Schuld.« Sie fuhr fort: »Während ich im Koma lag, geschah etwas Seltsames mit mir. Ich pendelte frei zwischen dieser Welt und der nächsten. Die meiste Zeit spielte ich mit Jack auf einer großen Wiese unter einem strahlend blauen Himmel. Wir waren beide sehr glücklich, und die Zeit – die Zeit flog dahin und schien doch stillzustehen.
    Aber dann wollte mein Bruder plötzlich nicht mehr spielen. Er hockte sich vor mich hin und nahm meine Hände und sagte mir – daran erinnere ich mich noch ganz genau –, dass meine Zeit noch nicht gekommen sei. Ich würde in dieser Welt noch gebraucht. Und er sagte mir, dass ich eine Gabe mit zurücknehmen würde.«
    Jetzt schlich sich doch ein Zittern in Trudys Stimme. »Er war mein großer Bruder, mein bewunderter großer Bruder, und ich hatte ihn lieb. Und ich fürchtete mich davor, diese Wiese zu verlassen. Ich fürchtete mich schrecklich. Ich flehte Jack an, mich bei ihm bleiben zu lassen. Aber er sagte: ›Trudy, du musst zurück. Du hast noch ein Leben vor dir. Du musst Dad sagen, dass er sich nicht schuldig fühlen darf. Dass es mir gut geht.‹ Und er sagte: ›Es wird nicht leicht sein. Du wirst ausgeschickt in eine Welt des Leids und der Schmerzen. Sei stark.‹ Dann küsste er mich dahin, wo jetzt meine Narbe ist, und winkte zum Abschied.
    Noch im selben Moment wachte ich auf, schreiend vor Schmerz. Es war nicht zu ertragen. Wochenlang bettelte ich, die Ärzte möchten mich zurück zu meinem Bruder gehen lassen. Das verstanden sie natürlich nicht. Sie hörten gar nicht hin, sie fuhren fort damit, mich zusammenzuflicken. Aber sobald ich es konnte, richtete ich meinem Vater Jacks Nachricht aus. Und als sie ausgerichtet war, erfasste mich ein himmlischer Friede.«
    Sie nahm noch ein Kleenex und rieb sich damit die Augen.
    »Im Lauf der Zeit merkte ich, dass ich manchmal Stimmen hörte. Wenn ich aufmerksam genug lauschte, konnte ich sogar einzelne Worte unterscheiden. Es dauerte lang, bis ich etwas verstand, aber inzwischen kann ich es. Die Stimmen, die ich höre, sind immer Botschaften. Manchmal kommen sie aus dem Innern der Lebenden. Manchmal gehören sie denen, die schon auf der anderen Seite sind.«
    Trudy lächelte, ihre Augen waren rot. Marks Körper schien all sein Gewicht verloren zu haben.
    »Wie ist so etwas möglich?«, fragte er. Und dann: »Warum ist Brendan hier ?«
    »Wir halten die Toten dicht bei uns«, sage sie. »Das weiß ich inzwischen nur allzu gut. Gerade das Band zwischen Eltern und Kindern ist stark, und manchmal kann der Tod es nicht durchtrennen.
    Ich erlebe so etwas nicht zum ersten Mal, aber den genauen Grund werde ich erst wissen, wenn ich ihn zu erreichen versuche. Vielleicht kam Brendans Tod so schnell, dass er gar nicht begriffen hat, dass er tot ist, und er ist zurückgekommen, um euch zu suchen. Vielleicht war er schon im Tunnel und ist auf halbem Wege umgekehrt. Und jetzt ist er verwirrt, weil ihr beide von verschiedenen Orten aus nach ihm ruft. Weil sein Zuhause nicht mehr sein Zuhause ist. Weil die Menschen, die nun dort leben, nicht zu ihm gehören.«
    Mark hatte einen Kloß im Hals. »Hat er … Angst?«
    Trudy drückte seine Hände. »Es ist sehr wichtig, dass Sie eines begreifen, Mark. Brendan ist

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