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An einem Tag im Januar

An einem Tag im Januar

Titel: An einem Tag im Januar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Coake
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neben einem Fahrzeug Wache, von dem nicht viel mehr als die Rücklichter aus dem Straßengraben hervorsahen. Äste und Stromleitungen bogen sich unter dicken Eiskrusten, die in der trüben Helle metallisch glänzten.
    Es war fast zehn. Sam musste gegen fünf losgefahren sein, gleich beim ersten Abflauen des Sturms. Das hieß, Lewis hatte ihn gestern angerufen – Sam hatte vielleicht die ganze Nacht wachgesessen und Mark zu erreichen versucht, bevor der Blizzard so weit nachließ, dass er sich auf den Weg machen konnte.
    Aber würde Sam nicht erst bei Allison angerufen haben? Natürlich. Bestimmt hatten er und Allie sich gesprochen.
    Und was hatte Allie ihm wohl erzählt? Im Zweifel durfte sich Mark auf einiges mehr gefasst machen als auf eine Lektion über die Existenz oder Nicht-Existenz von Geistern.
    Er legte Chloe eine Hand auf den Schenkel. Sie summte.
    Als sie endlich neben Marks eingeschneitem Volvo hielten, sagte Chloe: »Ich kann mitkommen, wenn du willst.«
    Das erschien ihm riskant – Chloes heitere Zuversicht könnte Sam auf eine zu harte Probe stellen, fürchtete er, sprach es jedoch nicht aus.
    »Ich mach das schon«, sagte er stattdessen. »Und danach komme ich sofort wieder heim.«
    Heim, hatte er gesagt – und das, während sie in Sichtweite des alten Hauses mit seinem fröhlich rauchenden Schornstein die Windschutzscheibe des Volvos freikratzten. Er hatte Chloes Wohnung gemeint. Nein. Chloes Arme.
    Für die Fahrt ins German Village, knapp zehn Minuten unter normalen Umständen, brauchte Mark eine gute halbe Stunde. Er kam an noch zwei Unfällen vorbei, und kurz vor seinem Haus schlitterte er schräg über eine zum Glück leere Kreuzung, ehe der Bordstein ihn sanft auffing. Als er vor dem Stadthaus anhielt, war er so zittrig, dass er eine lange Minute verständnislos auf Allisons Honda starrte, der vor dem Pick-up seines Vaters geparkt stand.
    Da stand Allisons Honda. Allison war hier, bei Sam. Und mehr noch, der Wagen seines Vaters war mit einer frischen Schneeschicht bedeckt.
    Allison hatte Sam angerufen, nicht Lew. Sein Vater war nicht nachts gefahren – er war schon länger hier. Er hatte gelogen, um Mark herzulocken. Vielleicht hatte Chloe deshalb seine Nummer nicht erkannt – weil Sam Allisons Telefon benutzt hatte.
    Eine lange Zeit saß Mark einfach im Auto, ohne den Motor abzustellen. Er wollte da nicht hinein, aber was für eine Wahl blieb ihm? Er hatte seinen Entschluss gefasst, diese letzten Tage über; früher oder später wäre es sowieso auf die jetzige Konfrontation hinausgelaufen. Ein Mann, der sich nicht klar zu seiner Verantwortung und seinem neuen Glück bekannte, würde vor einem solchen Zusammentreffen weglaufen. Mark nicht. Jetzt nicht mehr.
    Trotzdem ertappte er sich auf dem Weg zur Tür, die schon bald nicht mehr seine Tür sein würde, bei der absurden Hoffnung, Allison könnte vielleicht noch nicht wissen, wo er die Nacht verbracht hatte.
    Die Haustür war unverschlossen. Mark wusste nicht recht, was er tun sollte, also klopfte er leise, während er sie öffnete. Drinnen roch es nach Kaffee und Eiern, nach ihm und Allison – nach zu Hause, hätte er noch vor wenigen Tagen gedacht. Mark hörte das muntere Durcheinander von Fernsehstimmen. Er stellte seine nassen Schuhe neben die alten Allwetterstiefel seines Vaters. »Hallo?«, rief er im selben Moment, in dem der Fernseher ausgeschaltet wurde.
    Sein Vater erschien in Strümpfen, Jeans und einem schwarzen Pullover. Sein Bart war seit Weihnachten länger und buschiger geworden; es gab ihm etwas von einem Schiffskapitän. »Mark«, sagte er mit angespanntem Lächeln.
    »Dad.«
    »Allison ist hier«, sagte Sam. »Damit hast du nicht gerechnet, ich weiß.«
    »Allerdings nicht.«
    »Umarmst du deinen alten Vater trotzdem?«
    Mark nickte, und Sam legte die Arme um ihn, klopfte ihm auf den Rücken. Sein Griff war so fest, dass Mark ganz unsinnig überlegte, ob er niedergerungen werden sollte. »Allie ist in der Küche«, sagte Sam in Marks Ohr. »Ich gehe in dein Büro rauf, wenn es dir recht ist, und rufe Helen an. Ich bin da, wenn du mich brauchst.«
    Sam ließ ihn los – Mark taumelte rückwärts – und lächelte ihm noch einmal bedrückt zu, bevor er sich abwandte und langsam die Treppe hinaufstieg. Nicht! , wollte Mark hinter ihm herrufen.
    Stattdessen zwang er sich, durchs Wohnzimmer zu gehen, vorbei an dem Sofa mit dem benutzten Bettzeug (sein Vater hatte also tatsächlich hier geschlafen); vorbei am Fernseher;

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