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An einem Tag im Januar

An einem Tag im Januar

Titel: An einem Tag im Januar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Coake
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was er tun musste –, hob er Chloe von ihrem Kissen auf und trug sie die Treppe hinunter. Sie schien keinerlei Gewicht zu haben, und ihn packte die Angst, das könnte daran liegen, dass sie nur noch eine Hülle war, von allem Leben verlassen. Dass schon alles zu spät war.
    Er trug sie an Connie und Jacob vorbei, die immer noch auf dem Sofa saßen. Rief Connie zu, sie solle schon einmal in der Notaufnahme im Ohio State Hospital Bescheid sagen, und hörte sie kreischen: »Was ist denn passiert?«, und sich selbst mit seltsam hallender Stimme antworten: »Überdosis«, und dann warf er sich mit der Schulter gegen die Haustür, die er selbst hinter den Weills verriegelt hatte, und Connie öffnete sie ihm mit fahrigen Fingern, und er drückte Chloe noch fester an sich, so dass ihre Wange feucht gegen seine Halsgrube fiel, und schob sich seitlich durch die Tür, damit ihr Kopf nicht am Türrahmen anstieß. Brendan hatte er nicht so auf seinen Armen getragen; er hatte ihn überhaupt nicht anfassen dürfen – erst wieder in der Notaufnahme, nachdem der Arzt zu ihnen auf den Gang herausgekommen war und mit tief gefurchter Stirn seine eine Hand auf Marks Schulter gelegt hatte und die andere auf Chloes, und schon da hatte Chloe ein keuchendes Nein! hervorgepresst, Nein! Nein!, und mit der Hand ausgeholt, erst gegen den Arzt und dann auch gegen Mark, und Mark hatte sie festgehalten, sie an sich gezogen, aber sie hatte sich gewehrt, sie hatte zu schreien begonnen, und der Arzt hatte den Kopf geschüttelt und gesagt: Es war nichts mehr zu machen …
    Doch Chloe trug er jetzt die Stufen hinunter und den vereisten Gehweg entlang bis zum Volvo, und Connie überholte ihn und riss die Beifahrertür auf, und Mark bettete Chloe hinein, rannte selbst vorne herum zur Fahrertür, wühlte mit fliegenden Fingern den Zündschlüssel aus seiner Hosentasche, ließ den Motor an und jagte mit quietschenden Reifen los.
    Zum Krankenhaus war es nicht weit, nur die knappe Meile die Neil Avenue entlang bis zum Südrand des Campus. Mark hielt die Rechte an Chloes Brustbein gedrückt; sie zitterte, ob von Krämpfen oder nur von der schnellen Fahrt, wusste er nicht. Er gab noch mehr Gas und fühlte den Wagen schaudern wie Chloes Körper, nur dass an ihm die Schwerkraft zog, nicht das Nichts.
    Aber alles Tempo half nichts, er wusste es.
    Dafür hatte er zu lange in Brendans Zimmer vor Chloe gekniet, das Tablettenfläschchen in der Hand, wie gelähmt von ihrem Ansinnen.
    Gesagt: Chloe! Chloe! Hör doch!
    Darüber nachgegrübelt, wie er ihre Bitte erfüllen konnte. Denn wenn er die Tür mit einem der Klappstühle verbarrikadierte … wenn er Chloe vorsichtig auf den Boden bettete und die restlichen Tabletten schluckte und sich neben sie legte und sie in die Arme nahm … wie einfach würde das sein! So viel einfacher, als zu entscheiden, was er mit der nächsten Minute, der nächsten Stunde, der nächsten Woche anfangen sollte, mit dem Rest seines Lebens ohne sie.
    Einfacher, als erneut überleben zu müssen.
    Was, dachte er, wenn er sich getäuscht hatte?
    Komm mit, hatte sie gesagt. Gehen wir zu ihm.
    Vielleicht musste er nur die Tabletten nehmen und die Augen schließen, und wenn er sie wieder aufschlug, stand am Ende des langen Tunnels Brendan, Brendan an der Hand von Marks Mutter.
    Vielleicht hatte ja Brendan von Anfang an nur das eine gewollt – dass sie zu ihm kamen. Und im Tunnel würde ihr Schattenkind endlich auf sie zugerannt kommen und sie umarmen, sie bei der Hand nehmen.
    Er würde lächeln, ihr Brendan, lachend würde er sagen: Da seid ihr ja, als hätte er nie etwas anderes erwartet.
    Wie lange hatte sich Mark diesen Phantasien überlassen? Sekunden? Minuten? Wie viele?
    Zu lang. Zu lang.
    Jetzt ignorierte er Stoppschilder. Jetzt bog er scharf links auf die Neil Avenue, hupend, und drückte Chloe mit dem Unterarm in ihren Sitz. Sein rechtes Vorderrad rumpelte über den Randstein. Sein Heck erwischte eine vereiste Stelle und brach aus, zu weit. Auch hinter ihm hupte es jetzt, Scheinwerfer blendeten ihn von ganz nahe, aber der Zusammenprall blieb aus. Der Volvo drehte sich langsam, räderknirschend um sich selbst, und dann standen sie wieder in die richtige Richtung, er trat aufs Gas, beschleunigte …
    Eine Minute oder zwei, länger konnte er nicht gebraucht haben, um zu einer Entscheidung zu kommen. Um sich in die Hocke aufzurichten und zu Chloe zu sagen: nein.
    Und nun flackerte Blaulicht hinter ihm, ein Streifenwagen zog mit ihm gleich,

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