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An einem Tag im Januar

An einem Tag im Januar

Titel: An einem Tag im Januar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Coake
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er dann auf dem Sofa wach geworden, sein Mundinneres so klebrig wie eine ganze Rolle Kreppband. Er hatte auf die Wanduhr gestarrt, auf den Einfallswinkel der Sonne, und begriffen, dass er fast vierundzwanzig Stunden geschlafen haben musste. Im Klo hatte er sich zum Pinkeln hingesetzt, seitlich gegen den Waschtisch gelehnt, so dass das Porzellan kühl gegen seine Wange drückte, und etwas ausgeschissen, das roch wie der saure Tod und wohl auch nicht viel andres war.
    Und er wusste noch, dass er gedacht hatte: Mach so weiter, dann hast du’s bald geschafft.
    Er wusste noch, wie er mit der Schulter an dem glatten Putz des oberen Flurs entlanggeschleift war. Er wusste, dass er nicht in Brendans Zimmer zurückgewollt hatte, aber nicht, warum.
    Vielleicht war es ein Wachtraum. Oder er war gar nicht erst aufgewacht. Er sah Brendan mit dem Gesicht nach unten auf dem Treppenabsatz liegen. Er schaute vom Sofa hoch, und Brendan winkte ihm von der untersten Stufe aus zu. Brendans Bubenfüße trappelten den oberen Flur auf und ab. Der Badezimmerspiegel entdeckte in Marks einem Auge eine kleine rote Macke. Brendan plantschte in der Wanne. Brendan war im Gang, oben, am Ende der Treppe. Daddy , rief er, Daddy, komm mal! Und Mark versuchte sich vom Sofa hochzuhieven, aber es ging nicht, und er versuchte seinen Mumienmund zu öffnen, aber es ging nicht, nur ein Aaaahhh kam heraus – und im selben Moment hörte er das entsetzliche Poltern auf der Treppe, diesen furchtbaren letzten Aufprall. Er stand auf, ging zur Treppe vor und spähte hinauf in die Dunkelheit, aber er sah nichts. Überhaupt nichts. Doch dann kam aus dem Dunkel Brendans Stimme: Daddy, ich hab Angst .
    Aber das hatte er nur geträumt. Ganz bestimmt.
    Und dann, tief in seinem Niemandsland, fand sich Mark in der Diele im Obergeschoss wieder, auf den Knien. In seiner Kehle vibrierte es noch, seine Ohren summten von den letzten Echos. Seine Wangen waren nass. Er hatte mit ihm geredet, der Nachklang der Worte zerfiel auf seiner Zunge zu Asche.
    Und er fing zu weinen an, denn er war so glücklich gewesen im Traum – es konnte nur ein Traum sein, oder? –, so unfassbar, unendlich glücklich. Es musste ein Traum sein, ein Traum, in dem er Brendan in der Diele gefunden hatte – in dem er niedergekniet war und ihn umarmt hatte. Seinen Namen gesagt hatte.
    Er war seinen Jungen suchen gekommen, weil sein Junge nach ihm gerufen hatte.
    Und dort auf dem Boden, wach und auf den Knien, war Mark sich sicher gewesen: Er hatte ihn gefunden. Er hatte ihn gefunden.
    Schnaps, sagte er sich jetzt. Schnaps und Unglück und Einsamkeit. Daraus war Brendans Stimme im Dunkeln entstanden. Aus nichts sonst.
    Irgendwie hatte er es in dieser Nacht die Treppe wieder hinunter geschafft – stockbesoffen, aber unversehrt, mit heilem Genick –, zum Sofa, zu der halbvollen Flasche auf dem Beistelltisch.
    Du hast zu viel durchmachen müssen.
    Nichts davon hatte er Allie erzählt. Nichts davon, wie er ein letztes Mal zur Flasche gegriffen hatte.
    Nichts von seiner Verwirrung, als er Gott weiß wie viel später schließlich aufgewacht war, Sonnenspieße in den Augen, sein Kopf ein Schlachtfeld, zerwühlt und blutig.
    Über den Gang drang das Rumpeln von Waschmaschine und Trockner. Deftiger, warmer Essensduft stieg ihm in die Nase.
    Er öffnete den Kreppmund. Chloe, sagte er, aber so leise, dass nur er es hörte. Das Wasser in der Küche wurde zugedreht. Mark rappelte sich vom Sofa hoch. Chloe war zu ihm zurückgekommen! Er trieb seine widerspenstigen Füße den Gang entlang. Er konnte ihr sagen …
    Was? Das bekam er nicht zu fassen, jetzt so wenig wie damals, aber er wusste noch, wie überzeugt er davon gewesen war, die Antwort gefunden zu haben, das Geheimnis, das Chloe wieder glücklich machen würde. Er würde sie in den Armen halten und es ihr sagen, und sie würde ihn dafür lieben.
    Doch als er in die Küche kam, stand an der Spüle, einen frisch abgewaschenen Teller in den Händen – sein Vater.
    Sam, stellte sich heraus, hatte sich Sorgen gemacht; als Mark auf seine Anrufe nicht reagiert hatte, war er von Indiana hergefahren, um selbst nach dem Rechten zu sehen, und hatte schließlich auch im alten Haus nach ihm gesucht. Sein Vater hatte ihn gerettet.
    Nur Mark und sein Vater wussten, dass Mark, als er in die Küche gestolpert kam – als ihm die Wahrheit aufging –, die Hände vors Gesicht geschlagen und laut aufgestöhnt hatte: Nein. Nein. Nein.
    Und nur Mark wusste, dass er sich in diesem

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