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An einem Tag im Januar

An einem Tag im Januar

Titel: An einem Tag im Januar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Coake
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wurden schmal – und plötzlich schlug doch etwas von der Chloe durch, die ihm so wehgetan hatte, der Chloe, die das Gewächshaus als Treffpunkt wählte, weil er hier verwundbarer war.
    »Ich kann dir keinen Beweis liefern«, sagte sie. »Nicht, wenn du nicht mit mir mitkommst. Und dann siehst du es entweder, oder du siehst es nicht.«
    Eine Schulklasse kam herein, ein Trupp von gut zwanzig Kindern, die von einer der freiwilligen Helferinnen geführt wurden. Die junge Frau begann laut und gestenreich zu reden. Die Kinder lachten.
    Chloe ließ den Kopf nach vorne kippen. Sie war blass.
    »Komm weiter«, sagte sie.
    Sie stand auf und stieg vor Mark die geschwungene Treppe hinauf. Er betrachtete ihre zarten Kniekehlen unter dem Rocksaum, die abgestoßenen Kanten ihrer Stiefelsohlen – Stiefel, die er noch nie gesehen hatte und die doch alt waren, abgetragen.
    Über einen schmalen Weg folgte er ihr in einen neuen, kleineren Raum voll duftendem, schulterhohem Gesträuch, das gelb und blau blühte. Dutzende von Schmetterlingen gaukelten um die Blüten, über den Pfad. Chloe setzte sich auf eine Bank und klopfte neben sich. Mark nahm Platz. Ein älteres japanisches Paar ging Hand in Hand vorbei. An irgendeinem verborgenen Ort rieselte Wasser.
    Ihre Augen waren riesig, blau, unverstellt. Von der grausamen Chloe war nichts mehr zu ahnen. »Ich weiß, warum du nicht kommen willst. Weil du mir nicht traust.«
    Er setzte zum Protest an, doch sie sprach schon weiter. »Du hast ja auch allen Grund. Das weiß ich.«
    »Chloe …«
    Sie berührte sein Knie, so zart, als wäre einer der Schmetterlinge darauf gelandet.
    »Es ist wunderbar, mit ihm zusammen zu sein«, sagte sie. »Aber es ist auch traurig. Und nicht nur, weil er da ist, obwohl er nicht da sein sollte. Es ist traurig, weil ich ihn spüre und – und wieder seine Mutter bin. Ich könnte mir fast einbilden, wenn ich die Augen öffne, werde ich in der Zeit zurückgereist sein, und alles ist wieder wie früher.«
    Ihm dämmerte, was als Nächstes kommen würde.
    »Aber etwas fehlt«, sagte sie. »Ich bin so glücklich, wenn er da ist, und trotzdem kann ich manchmal gar nicht mehr aufhören zu weinen. Weißt du, warum?«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Weil du nicht bei uns bist«, sagte Chloe mit nassen Augen. »Weil ich weiß – weil ich ganz genau spüre –, dass er uns beide sucht.«
    Er wollte so dringend ihre Hand nehmen …
    »Und daran bin ich schuld«, sagte sie. »Das ist mir endlich klar geworden.«
    »Chloe, nein.«
    Sehr leise sagte sie: »Es überrascht dich wahrscheinlich nicht, wenn ich dir jetzt sage, dass ich dich dafür verantwortlich gemacht habe.«
    Das hatte sie ihm auf dem Gipfel ihrer Wut mehr als einmal vorgeworfen. Vielleicht wusste sie das nicht mehr. Aber obwohl sie nicht neu waren, trafen die Worte ihn doch.
    »Alle – meine Therapeuten – haben mir gesagt, dass das falsch ist. Aber ich war mir sicher. Ich habe mir eingeredet, wenn ich bei ihm gewesen wäre und nicht du, dann wäre es nicht passiert. Wenn …«
    Er konnte den Rest auswendig hersagen: Wenn sie daheim geblieben wäre. Wenn sie nicht gestritten hätten. Wenn Mark nicht getrunken hätte beim Fernsehen. Wenn er nicht schon am Abend vorher so viel getrunken hätte und an dem Abend davor auch. Wenn er ein guter Ehemann gewesen wäre, ein guter Vater.
    Wenn er sie, Chloe und Brendan, geliebt hätte, wie er sollte.
    »Aber ich habe etwas ganz Wichtiges übersehen«, sagte Chloe. »Etwas völlig Eklatantes. Ich war deshalb nicht daheim, weil ich weggegangen war. Ich war noch wütend vom Abend vorher, und ich habe mich mit meinen Freundinnen zum Mittagessen getroffen, und das ist auch nicht besser als alles, was ich dir vorgeworfen habe. Vielleicht eher noch schlimmer. Vielleicht wäre alles ganz genauso gekommen, wenn ich da gewesen wäre. Aber ich war nicht da.« Sie schluckte. »Wenn es irgendjemandes Schuld war, dann meine. Und es tut mir leid, dass es das gebraucht hat – Brendans Rückkehr –, um mir die Augen zu öffnen. Um mir klarzumachen, was für ein Mensch ich bin und was ich deshalb alles verloren habe.«
    Die Kehle wurde ihm eng. Sie nahm seine Hand in ihre beiden und drückte sie. Mein Gott, wie hatte er sich danach gesehnt, das zu hören!
    »Und das vorher – daran war ich ja auch nicht unschuldig«, fuhr sie fort. »Seit ich dich verlassen habe, habe ich nicht aufgehört, mich zu fragen, was schiefgelaufen ist. Wir waren doch einmal so glücklich. Nicht

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