An einem Tag im Januar
daneben es klang. »Das, worüber wir neulich gesprochen hatten, es …«
»Komm her«, sagte Lew wie aus der Pistole geschossen. »Oder ich kann zu dir kommen. Was dir lieber ist.«
Mark nickte, obwohl Lew ihn nicht sehen konnte. Alles besser, als nach Hause zurückzukehren, an den Schauplatz von Allies Kummer, vergangenem wie zukünftigem. »In einer Viertelstunde bin ich bei dir.«
Das Haus, in dem Lewis seine Wohnung hatte, lag in Grandview, ein zweigeschossiger, U-förmiger Backsteinbau, den Lew erklärtermaßen hasste, aus dem ihn aber keine zehn Pferde wegzubringen schienen, weil es von dort ein Katzensprung sowohl zum Studio als auch zu seiner Lieblingskneipe war. Lew wohnte jetzt schon zehn Jahre hier, und Mark hatte immer gedacht, wenn nicht ein Wunder geschah und Lew doch noch heiratete, dann würde er fröhlich auch noch weitere zehn Jahre dableiben.
Lew öffnete die Tür, bevor Mark auch nur klopfen konnte. »Setz dich hin. Hast du Hunger? Ich bestell uns Sandwiches.«
Lew ließ die Rollos im Winter immer heruntergezogen, um die Wärme einzusperren, so dass nur ein schmutzig oranger Lichtschimmer hindurchkam und nicht ein Hauch frischer Luft. Lew war ein ordentlicher Mensch, wenn auch kein sehr sauberer – in seinem Wohnzimmer und der Küche lag nichts herum, aber es stank nach kaltem Rauch und Bier und Lews ganz eigenem Körpermief. Trotzdem fühlte Mark sich hier geborgener als an irgendeinem anderen Ort in der letzten Zeit.
»Ich hab mich noch gar nicht bei dir entschuldigt«, sagte er. »Dass ich neulich einfach so weggerannt bin.«
Lewis hatte schon das Telefon in der Hand; er winkte ab und rief in dem Feinkostgeschäft um die Ecke an. Mark setzte sich in einen Stuhl am Küchentisch und schloss die Augen. Nach den letzten vierundzwanzig Stunden war es eine Erleichterung, einfach still und mit leerem Kopf dazusitzen und die Entscheidungen jemand anderem zu überlassen.
Die Stimme, mit der Lewis seine Bestellung aufgab, war eine Spur zu eindringlich, zu laut. Mark kannte diesen Ton so genau wie den Geruch in der Luft: Lew musste Schlag zwölf sein erstes Bier aufgemacht haben.
Lew legte auf und setzte sich ihm gegenüber. Er musterte Mark. »Also, dann lass hören.«
»Hast du ein Bier?«, fragte Mark.
Lew antwortete nicht.
»Komm schon. Ich hab’s grade nicht leicht.«
Lew stemmte sich von der Tischplatte hoch, suchte im Kühlschrank und kam mit zwei Flaschen Amstel zurück. Er öffnete beide an der Tischkante, wo die Metalleinfassung von der Resopalplatte wegklaffte. Dann schob er die eine Flasche Mark hin.
Der nahm einen langen, dankbaren Zug. Danach hatte er seit dem Auflegen vorhin gelechzt.
»Jetzt aber«, sagte Lew. »Schieß los.«
Mark erzählte ihm so viel, wie er über sich brachte – von Chloes Besuch bei ihm zu Hause, ihrem Brief, dem Treffen gerade eben. Er ließ nur die allerintimsten Details aus: wie er gestern Nacht statt Allies Stimme die von Chloe zu hören geglaubt hatte. Chloes kalten, brennenden Kuss auf seiner Wange.
Als er fertig war, sagte Lew kopfschüttelnd: »Das auch noch. Als hättest du nicht schon genug hinter dir!«
Was letztlich nichts anderes war als die Frage, womit Mark das alles verdient hatte. Nach seinem Treffen mit Chloe schien ihm das Wort verdient auf keinen Aspekt seines Lebens mehr anwendbar, weder früher noch jetzt. Er wiederholte einen von Gayles Lieblingssätzen: »Die Welt schuldet mir nichts. Warum sollte sie?« Er spürte wieder Chloe in seinen Armen. »Ich bin kein Heiliger, Lew. Das weißt du.«
»Trotzdem …«
»Egal«, sagte Mark, auch wenn Lews Anteilnahme – und erst recht sein Bier – angenehm wärmte.
Lew stand auf, lief einmal im Kreis und setzte sich wieder hin. »Okay. Dann überlegen wir mal. Es ist höchstwahrscheinlich immer noch der Junge, richtig? Der sich Geschichten ausdenkt. Es hat schon Leute gegeben, die sich noch wunderlicheres Zeug eingeredet haben, und Chloe … na ja, man könnte Chloe vorsichtig als labil bezeichnen, oder?«
»Ich weiß nicht. Ich weiß es wirklich nicht mehr. Lew, wenn du sie gehört hättest …«
»Und du willst da wirklich hin?«
»Ich muss«, sagte Mark. »Du hattest recht. Wenn die Möglichkeit besteht, dass etwas dran ist, muss ich hin – auch wenn sie noch so winzig klein ist. Das bin ich Chloe schuldig.«
»Die Möglichkeit einer Möglichkeit, höchstens. Aber Chloe schuldest du gar nichts.«
»Sie hat …«
Lews Augen verengten sich. »Chloe kann sich
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