Ana Veloso
ihm
wahrscheinlich nie aufgefallen, dass sie es nicht mehr besaß. »León, wir feiern
hier heute die Einweihung unseres neuen Hauses. Wir sind die Gastgeber. Du
genauso wie ich. Also sei vernünftig und wähle gefälligst einen anderen Tag, um
Streit mit mir zu suchen. Und nun lass endlich meinen Arm los, er ist schon
ganz taub, so fest drückst du ihn.«
León ließ schlaff seine Hand fallen. Reglos
stand er vor Vitória, nicht die kleinste Geste verriet den inneren Tumult, der
von ihm Besitz ergriffen hatte.
»Deine kindischen Ausweichmanöver werden dir
nichts nützen. Ich werde in Erfahrung bringen, was es mit dem Anhänger auf sich
hat, verlass dich drauf.«
»Bitte, wenn du keine anderen Sorgen hast als
ein billiges, blechernes Sklaven-Schmuckstück.«
León musste mit aller Kraft den Impuls unterdrücken,
Vitória ins Gesicht zu schlagen. Er zwang sich zu einem Lächeln, deutete eine höfliche
Verbeugung an und ging wieder in den Salon. An der Flügeltür blieb er stehen
und wandte sich kurz zu ihr um.
»Dieser Tand hätte dir vorzüglich gestanden,
mein Herz – Blech harmoniert mit deinem Charakter.« Dann verschwand er im
Innern des Hauses und genoss den schalen Geschmack des armseligen Siegs, den er
davongetragen hatte. Er hatte das letzte Wort behalten.
XX
Aaron Nogueira war nicht wiederzuerkennen. Er
war jetzt stets tadellos gekleidet, sowohl bei Terminen mit Klienten als auch
bei privaten Anlässen. Er hatte sich eine Reihe neuer Anzüge, Hemden, Schuhe
und Hüte geleistet, die er sorgfältig pflegte. Die Schuhe ließ er mindestens
einmal täglich polieren, meist während der Mittagszeit, wenn er zu seinem
Stammrestaurant ging. Der kleine Schuhputzer, ein 10-Jähriger Junge, hatte
Aaron längst zu seinem Lieblingskunden erklärt, was nicht zuletzt an den großzügigen
Trinkgeldern lag. Seinen Anzügen ließ Aaron eine ähnlich gute Behandlung
angedeihen wie seinen Schuhen. Er versuchte, sie nicht gar zu sehr zu
verknittern, und strich sich regelmäßig über Schultern und Ärmel, um Staub,
Flusen oder Haare abzuwischen. Wer Aaron nicht bereits seit längerem kannte,
musste glauben, dass er ein sehr eitler Mensch war. Einzig sein störrisches
Haar widersetzte sich allen Bemühungen, es in Ordnung zu halten. Obwohl Aaron
es viel kürzer trug, als es der Mode entsprach, ließen sich seine drahtigen
roten Locken nicht bändigen. Immer gelang es irgendeiner Strähne, sich aus der
pomadisierten Mähne zu befreien und keck abzustehen, was Aarons insgesamt
respektablem Auftritt eine jungenhafte Note verlieh.
Der Umzug hatte Aaron sichtlich gut getan. Seit
er in Leóns alter Wohnung residierte, die er zu einem Freundschaftspreis
gemietet hatte, war er förmlich aufgeblüht. Die drei repräsentativsten Räume
der Wohnung nutzte er als Kanzlei, einen davon als sein Büro, einen als »Konferenzraum«,
wobei die Konferenzen meist aus Gesprächen mit Klienten bestanden, die er nicht
in seinem Büro empfangen wollte, und einen als Empfangszimmer beziehungsweise
Sekretariat. Ein sehr fähiger junger Kollege, den er noch von der juristischen
Fakultät kannte und der damals sein Studium aus Geldnot hatte abbrechen müssen,
kam an vier Tagen in der Woche und erledigte die Korrespondenz, pflegte die
Akten, koordinierte Termine, recherchierte Präzedenzfälle in der Fachliteratur
und kümmerte sich um alles, was Aaron nicht zwingend selber erledigen musste.
Die anderen drei Räume der Wohnung bewohnte
Aaron. Eigentlich, so fand er, grenzte das an Verschwendung. Er brauchte nicht
mehr als ein Schlafzimmer. Seine Mahlzeiten nahm er fast immer außerhalb der
Wohnung ein, und wenn er wirklich einmal zu Hause aß, dann blieb er am liebsten
in der Küche, die geräumig und gemütlich war und in der ihn Mariazinha immer
mit dem neuesten Klatsch versorgte. Wozu brauchte er, für sich allein, ein
Esszimmer? Genauso wenig brauchte er einen privaten Salon. Er hatte schließlich
seinen Konferenzraum, dessen Wände bis zur Decke mit Bücherregalen vollgestellt
waren und der mit komfortablen Sesseln bestückt war. Abends, nach getaner
Arbeit, hielt sich Aaron dort gerne noch auf, legte die Füße hoch und las. Der
Raum war ihm Bibliothek und Salon in einem, zudem war er durchaus geeignet,
darin auch privat Gäste zu empfangen. Immerhin handelte es sich um den größten
und schönsten Raum der ganzen Wohnung, mit feinem Stuck an der Decke und hohen
Fenstertüren zur Veranda hin.
Aber Joana, die ihm bei der Einrichtung mit
Weitere Kostenlose Bücher