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Ana Veloso

Ana Veloso

Titel: Ana Veloso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Duft der Kaffeeblüte
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auch davon, ob sie sich kurz zuvor noch gestritten oder
angeschwiegen hatten. All ihr Unvermögen, aufeinander zuzugehen und sich einander
zu öffnen, das tagsüber die Atmosphäre mit einer unerträglichen Spannung
auflud, war vergessen, sobald sie in ihrem Schlafzimmer waren. Ihre Lust war stärker
als ihr Verstand. Ihre körperliche Liebe musste all das kompensieren, woran
ihre Ehe krankte. León brauchte nur ganz leicht ihren Arm zu berühren, um ein
Kribbeln in Vitórias ganzem Körper hervorzurufen. Allein ein unschuldiger
Gutenachtkuss Vitórias reichte, um in León eine wilde Begierde auszulösen. Wenn
sie sich auszogen, war es, als streiften sie mit der Kleidung auch alle
Missverständnisse und Enttäuschungen ab, die ihr Zusammenleben so schwer
machten. Im Bett waren sie alles, was sie tagsüber nicht sein konnten, gaben
sie einander all das, was sie dem andern im Alltag vorenthielten, Zärtlichkeit,
Vertrauen, Ehrlichkeit. Und das, ohne auch nur einen vollständigen Satz
miteinander zu wechseln.
    An manchen Abenden, wenn León allein unterwegs
war und Vitória den Verdacht hatte, dass er sich mit der Schwarzen Witwe traf,
ging sie zeitig zu Bett und schwor sich, León nie wieder irgendwelche Intimitäten
zu erlauben. Doch wenn er dann nach Hause kam, wenn sie hörte, wie er sich
leise auszog, wenn sie spürte, wie er vorsichtig unter die Bettdecke kroch, um
sie nicht zu wecken, dann hätte sie heulen können vor Sehnsucht nach seiner
Liebe. Ein Kuss nur, eine kleine zärtliche Geste! Sich schlafend stellend,
legte sie dann den Arm wie zufällig auf Leóns Bauch oder berührte sanft sein
Bein mit dem ihren, als sei nicht sie selbst es, die den Hautkontakt suchte,
sondern eine vor Schlaftrunkenheit willenlose Person. Der Effekt war immer
derselbe. León, ebenfalls Trägheit oder Müdigkeit vorgebend, kam ihr näher, gab
kehlige Laute der Lust von sich, streichelte sie, bis sie beide sich
leidenschaftlich umarmten und küssten und sich hemmungslos ihrer Leidenschaft
hingaben. Was für eine unwürdige Farce für zwei erwachsene Menschen – als bräuchten
sie einen Vorwand, um einander zu begehren!
    Es gab aber auch Situationen, in denen sie übereinander
herfielen wie zwei Besessene, ohne erst so zu tun, als handle es sich um ein
Versehen. Sie waren wie Süchtige, die ihre Selbstachtung und all ihre hehren
Werte in dem Moment vergaßen, in dem die Befriedigung ihrer Sucht eine
kurzfristige Erlösung von den Qualen des Alltags versprach. Gestern war so ein
Tag gewesen. Vitória und León hatten sich, während sie darauf warteten, dass
das Essen aufgetragen wurde, taxiert wie zwei Gegner bei einem Duell. Streit
lag in der Luft, doch keiner von beiden sprach aus, was ihn ärgerte. Nachdem Taís
das Essen gebracht hatte, saßen sie sich schweigend gegenüber. Das Klappern des
Bestecks auf den Tellern war das einzige Geräusch, das zu hören war, bis León
schließlich sein Besteck beiseite legte und sagte: »Ich bestehe darauf, dass du
mit zu dem Empfang kommst. Zwing mich nicht, dich an deinen Haaren dorthin zu
zerren.« Vitória hob die Augenbrauen in einem Ausdruck von Verachtung. »Ich
zwinge dich zu gar nichts, León. Sei so nett und erweise mir dieselbe Gunst.«
Dann legte sie ihre Serviette übertrieben sorgfältig zusammen, stand auf und
ging. Als wolle er seine Drohung wahrmachen, war León hinter Vitória die Treppe
hochgelaufen und ihr ins Schlafzimmer gefolgt. Doch kaum dass die Tür hinter
ihnen zugefallen war, hatte León Vitória mit seinem Körper an die Wand
gepresst, sie mit seinen Küssen und seinem Gewicht beinahe erstickt, ihr in
fieberhaftem Verlangen den Rock hochgeschoben, die Wäsche vorn Leib gerissen
und sie im Stehen genommen, hart, besitzergreifend, animalisch. Und sie? Hatte
die Beine um seine Hüften geschlungen und laut stöhnend die Rohheit des Aktes
genossen.
    Danach hatte sie sich auf die Bettkante gesetzt
und León dabei zugesehen, wie er seine Abendgarderobe anlegte. Sie hasste sich
für ihre eigene Triebhaftigkeit, für ihre Schwäche, und sie hasste León dafür,
dass er so gelassen und unbeteiligt wirkte, während sie selber gegen ihre Tränen
ankämpfte.
    »Was ist, willst du dich nicht fertig machen?«,
fragte er sie. Ihre Blicke trafen sich im Spiegel.
    Vitória schüttelte verneinend den Kopf.
    »Wie du meinst. Es hat auch gewisse Vorteile,
wenn man ohne die Ehefrau ausgeht. Schlaf schön, mein Herz.«
    León war erst im Morgengrauen nach Hause
gekommen, betrunken und

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