Ana Veloso
nach Qualm riechend. Er war in voller Montur aufs Bett
gefallen und auf der Stelle eingeschlafen. So also hatte dieser Tag begonnen.
Ihr Hochzeitstag. Vitória hatte auf den schnarchenden Mann an ihrer Seite
gesehen und jede Hoffnung begraben, dass sie wenigstens heute einmal
miteinander umgingen wie ein normales junges Ehepaar.
Doch wider Erwarten befand sich León in aufgeräumter
Stimmung, als er sich zu ihr an den Frühstückstisch gesellte. Allem Anschein
nach war er nicht verkatert, und nicht einmal der Schlafmangel trübte seine
Laune.
»Guten Morgen, meu amor. Was für ein
herrlicher Tag! Hast du Lust, mit mir einen kleinen Ausflug zu machen?«
Sein aufgesetzter Frohsinn machte sie
wahnsinnig. Es fehlte nur noch, dass er ein munteres Liedchen pfiff.
»Nein.«
»Komm schon, mein Herz, sei nicht so grausam.«
»Gibt es einen besonderen Anlass für deine
Unternehmungslust?« León sah sie lauernd an. »Nein. Brauche ich einen?«
»Ich weiß nicht. Ja, vielleicht. Diese
Heiterkeit ist ganz untypisch für dich.«
»Wenn dir wohler bei dem Gedanken ist, dass es
einen Anlass für meine gute Laune gibt, dann denken wir uns doch einfach einen
aus. Lass uns so tun, als sei heute zum Beispiel unser Hochzeitstag.«
Vitória schluckte. Er hatte es nicht vergessen!
Sie bemühte sich um eine gleichgültige Miene. »Tja, aber dann hätte der Tag
anders begonnen. Und du hättest mir ein Geschenk gemacht.«
»Ach? Und ich war mir sicher, dass du von mir
keine Geschenke annimmst.«
»Da siehst du, wie wenig du mich kennst – nach
einem Jahr Ehe.«
»Vita ...« León fehlten die Worte. Wie sollte er jemals seine
Gefühle zum Ausdruck bringen, wenn Vita jeden, aber auch jeden Versuch, sich
ihr freundschaftlich oder liebevoll zu nähern, sabotierte?
»Ja?«
»Ich dachte nur, es wäre schön, mal wieder etwas
gemeinsam zu unternehmen – einfach so, ohne dass uns Verpflichtungen dazu
zwingen.«
Himmel, einen so netten Satz hatte er seit
Monaten nicht mehr zu ihr gesagt! Am liebsten wäre sie ihm um den Hals
gefallen, riss sich aber zusammen und antwortete betont gelangweilt: »Von mir
aus. Welche Art von Ausflug schwebt dir denn vor?«
»Du warst noch nie auf dem Corcovado, oder? Dann
lass uns dort hinauffahren und im > Sonnenhut < auf unsere missratene Ehe
anstoßen.«
Dieser Mann war wirklich das Allerletzte! Wie
konnte er sich nur innerhalb einer Sekunde von einem untadeligen Kavalier in
ein solches Scheusal verwandeln? Seine Unberechenbarkeit konnte einem richtig
Angst einjagen. Aber gut – es war ja nun einmal ihr Hochzeitstag, und bevor sie
ihn damit verbrachte, sich über »die missratene Ehe« zu grämen, würde sie
lieber mit León auf den Berg fahren und heile Welt spielen.
»Na schön. Und wann gedachtest du abzufahren?«
»Die Kutsche wartet schon«, antwortete er mit
einem triumphierenden Lächeln auf den Lippen.
Der Sonnenhut war ein Pavillon aus Gusseisen und
Glas, der auf der Spitze des Corcovado thronte, in luftigen siebenhundertelf
Metern Höhe. Schon vor dessen Errichtung, und sogar vor dem Bau der
Bahnstrecke, die fast bis zum Gipfel des Berges führte, waren Ausflüge hierher
beliebt gewesen. Der Blick auf die Guanabara-Bucht, den Zuckerhut, die Strände
im Süden der Stadt und die Lagune unterhalb des Berges war so phänomenal, dass
man dafür gern den beschwerlichen Weg in Kauf genommen hatte. Seit jedoch die
Bahn mehrmals täglich über den Buckel des Corcovado, des »Buckligen«, hinauf zu
diesem grandiosen Aussichtspunkt fuhr, waren die Besucherzahlen explodiert.
Besonders an der Wochenenden war der Sonnenhut ein beliebtes Ausflugsziel,
indem man Picknicks veranstaltete, indem man sich, in den Wintermonaten, vor dem
kühlen Wind in Sicherheit brachte, der in dieser Höhe pfiff, oder sich, im
Sommer, vor der erbarmungslos brennenden Sonne rettete.
Schon in dem Zug, der sie ratternd und holpernd
nach oben beförderte, fiel Vitória in eine gehobene Feiertagsstimmung, an der
auch die lärmenden Kinder, die in ihrem Waggon herumtobten, nichts änderten.
Der Zug schlängelte sich durch dichten Urwald. Das Krächzen und Zwitschern der
Vögel, der Duft der Bäume, die durchs Blattwerk scheinenden Sonnenstrahlen –
all das entführte sie in eine ganz andere Welt, die mit der Großstadt, in der
sie lebten, nichts gemein hatte. Es war ein einzigartiges Vergnügen, durch die
Natur zu fahren, getrübt einzig durch die extreme Steigung, die der Zug kaum zu
bewältigen schien, ja die Vitória
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