Ana Veloso
Tage, an denen er kalt, berechnend und
arrogant wirkte, an denen er sie von oben herab behandelte und ihr das Gefühl
gab, nicht seine Frau, sondern eine Untergebene zu sein. An anderen, selteneren
Tagen war er ungeduldig, ruhelos und impulsiv, knallte mit den Türen, zerriss
Manuskripte oder schimpfte die Dienstboten aus nichtigem Anlass aus. Wenn diese
nervöse Unruhe von ihm Besitz ergriffen hatte, konnte es ihm niemand recht
machen, am allerwenigsten sie selber. Doch wenn Vitória ihm dann aus dem Weg
ging, steigerte das nur seine sonderbare Laune. »Sinhazinha, meidest du mich
etwa, jetzt, da du dein Haus hast und deine finanzielle Unabhängigkeit?«, hatte
er sie kürzlich gefragt, mit leiser und geradezu bedrohlich klingender Stimme. »Was
für ein Unsinn, León. Ich meide dich nur, wenn du in dieser unausstehlichen
Stimmung bist«, hatte sie geantwortet und sich für ihre Unaufrichtigkeit geschämt.
Denn in Wahrheit mied sie ihn sehr wohl – in seiner Gegenwart fühlte sie sich
immer wie jemand, der eines Diebstahls bezichtigt wird und der sich, obwohl er
unschuldig ist, nur aufgrund der Anschuldigung verdächtig benimmt.
Es verging kein Tag, an dem sich Vitória nicht über
irgendetwas an Leóns Verhalten oder an seinem Auftreten wunderte. Wie konnte
ein Mann, der sich in Gesellschaft der bedeutendsten Persönlichkeiten ganz
ungezwungen verhielt, Hemmungen haben, frei zu reden, wenn Dienstboten in der Nähe
waren? Wie konnte er sich in seinen maßgeschneiderten Anzügen aus London mit
der lässigen Eleganz eines Mannes bewegen, der gar keine andere Garderobe
kennt, und gleichzeitig in jede seiner Gesten einen ironischen Ausdruck legen,
wie jemand, der sich nur verkleidet hat? Wie konnte er, der doch in Europa die
größten Gaumenfreuden kennen gelernt hatte, freiwillig die typischen Gerichte
der Sklaven essen? Vor einigen Tagen hatte León doch tatsächlich bei Tisch und
in Gegenwart von Gästen darum gebeten, dass man ihm schwarze Bohnen bringen möge,
und hatte den Besuchern ebenfalls diese »Delikatesse« angeboten. Vitória war
vor Scham fast im Boden versunken, und ein Blick in Leóns Gesicht hatte ihr
bestätigt, dass genau das seine Absicht gewesen war.
Seit der peinlichen Episode mit dem Schmuckanhänger
war Leóns Benehmen ihr gegenüber von einer kühlen Gleichgültigkeit geprägt, die
so gar nicht jener herantastenden Distanz der ersten Monate ihrer Ehe ähnelte,
als sie noch versucht hatten, einander besser kennen zu lernen. Oh, er war
weiterhin ausgesucht höflich und zuvorkommend, doch immer lag ein Hauch von
Spott in der Art, wie er sie ansah und wie er mit ihr sprach. Wenn er ihr
Komplimente machte, waren es nichts weiter als abgedroschene Phrasen. Wenn er
lachte, klang er nicht fröhlich, sondern desillusioniert. Wenn er den Arm um
sie legte, so nicht aus dem Verlangen heraus, sie zu umarmen, sondern um in der
Öffentlichkeit Harmonie zu demonstrieren. Aber das kam selten genug vor. Sie
gingen nur noch gemeinsam aus, wenn es sich partout nicht vermeiden ließ.
Dennoch führte Vitória an der Seite Leóns kein
schlechtes Leben. Er hielt sein Versprechen und ließ sie schalten und walten,
wie es ihr gefiel. Vitória hatte in diesem einen Jahr ihr Vermögen
vervielfacht, und Reichtum war eindeutig etwas, das viele andere Entbehrungen
aufwog. Ihr jüngster Coup war geradezu genial gewesen. Für einen Spottpreis
hatte sie Aktien einer heruntergewirtschafteten Fleischverarbeitungsfabrik
gekauft, einen Monat später, als bekannt wurde, dass die BMC das Unternehmen
kaufen wollte, hatte sie die Papiere mit mehr als dreihundert Prozent Gewinn
wieder abgestoßen. Vitória fand nicht, dass sie Aaron daran beteiligen sollte –
er war ein erwachsener Mann und hätte sein eigenes Geld ja ebenfalls in diese
Aktie anlegen können –, doch da er ihr den entscheidenden Tipp gegeben hatte,
war sie mit ihm ausgegangen. Sie hatte ihn erst ins Theater geschleppt, dann
hatten sie bei Louis getafelt, zum Abschluss waren sie noch auf einen Kaffee
ins Café das Flores gegangen. Seit Aaron seine kindische Verliebtheit überwunden
hatte und sie selber nicht mehr den noch kindischeren Drang hatte, mit ihm zu
flirten, war der Umgang zwischen ihnen komplizenhaft, ungekünstelt und
herzlich. Vitória zog Aarons Gesellschaft eindeutig der ihres Mannes vor.
In den Nächten war alles anders. Es war, als führten
Leóns und Vitórias Körper ein Eigenleben, unabhängig von dem, was in ihren Köpfen
vorging, unabhängig
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