Ana Veloso
Machst du uns jetzt
miteinander bekannt?«
Zögernd erhob sich León von dem Drehsessel, ging
um den Schreibtisch herum und stellte sich zu den beiden Frauen. »Dona
Doralice, das ist, wie Sie schon festgestellt haben, Vitória, meine zartfühlende,
warmherzige Gattin. Und Vita, das ist Dona Doralice«, er schluckte kurz, bevor
er fortfuhr, »meine Mutter.«
Seine Mutter?! Vitória starrte die Frau ungläubig
an.
»Ja, mein Kind, das stimmt – auch wenn ich von meinem
Sohn nicht gerade die Behandlung erfahre, die ich als seine Mutter verdiene.«
»Nun, dann haben wir wenigstens eines gemeinsam.
Mir lässt León nämlich auch nicht die Behandlung angedeihen, die ich als seine
Frau verdiene.«
León fühlte sich sichtlich unwohl. Er hatte
immer befürchtet, dass eines Tages die Wahrheit ans Licht kommen würde. Aber
musste es schon so früh passieren? Er war sich sicher gewesen, dass er, wenn er
erst Vitórias Liebe gewonnen hätte, sie auch dazu bringen konnte, seine Abstammung
zu akzeptieren. Er war sich ebenfalls sicher gewesen, dass, wenn dieser
Zeitpunkt endlich gekommen wäre, Dona Doralice und Vita sich gut verstanden hätten,
ja, dass sie echte Freundinnen hätten werden können.
Doch unter den gegebenen Umständen verflüchtigten
sich seine Hoffnungen zusehends. Ein Blick in Vitas Augen genügte, um das ganze
Ausmaß ihres Hasses zu erkennen. Immerhin hatte Vita trotz des Schocks nicht
ihre Schlagfertigkeit verloren – die Antwort, die sie Dona Doralice gegeben
hatte, verletzte ihn zwar, erfüllte ihn aber auch mit Stolz. Das war seine
Vita, wie er sie kannte und liebte!
»Wie bedauerlich, dass Sie nicht zu unserer
Hochzeit kommen konnten, Dona Doralice. Meine Eltern hätten sich sehr gefreut,
Ihre Bekanntschaft zu machen – und ich wäre natürlich ebenfalls entzückt
gewesen.«
Dona Doralice verstand den Seitenhieb, der mehr
ihrem Sohn als ihr selber galt.
»Ja, mein Kind, ich bedauere das auch zutiefst.
Mein einziger Sohn heiratet und hält es nicht für nötig, seine Mutter davon in
Kenntnis zu setzen.«
»Vielleicht wollte er Ihnen ersparen, die
furchtbare Familie kennen zu lernen, in die er eingeheiratet hat.«
»Ja, einen anderen Grund kann ich mir eigentlich
auch nicht vorstellen ...« Dona Doralice starrte Vitória unverwandt an. »Deine
Familie, liebe Vita – als deine Schwiegermutter darf ich dich doch so nennen,
oder? –, muss abscheulich sein, wenn sie dir auch nur im Geringsten ähnelt.«
Vitória war kurz davor, der Frau eine Ohrfeige
zu geben. Aber als sie die Absurdität der Situation und den Schalk in Dona
Doralices Augen erkannte, lachte sie laut heraus. Sie lachte, bis ihr die Tränen
kamen.
»Sie gefallen mir, Dona Doralice. Endlich weiß
ich, woher Ihr missratener Sohn seine Frechheit und seine Arroganz hat. Und natürlich
sein unverschämt gutes Aussehen. Nur die Hautfarbe, die hat er wohl eher von
seinem Vater geerbt, wie mir scheinen will ... Weilt der vielleicht ebenfalls
noch unter den Lebenden? Dann würde ich gerne seine Bekanntschaft machen.«
»Nein, Senhor Castro ist tatsächlich verblichen –
aus dieser Richtung drohen dir keine weiteren Überraschungen, mein Kind.«
»So?
Schade, gerade hatte ich angefangen, mich wirklich zu amüsieren. Sie sind heute
bereits die zweite Person, die ich für tot gehalten hatte und die sich als
quicklebendig erwiesen hat.« Vitória wandte sich an León. »León, Liebster,
erinnerst du dich an den stummen Jungen, den wir auf Boavista hatten? Und von
dem nach seiner Flucht nie wieder etwas gehört wurde? Stell dir vor, eben habe
ich ihn gesehen, gleich hier vor unserem Haus, zusammen mit der Küchenmagd.
Verrückt, nicht wahr?«
»Vielleicht täuschst du dich, Vita. Bestimmt war
das nicht Félix, den du gesehen hat, sondern ein anderer Schwarzer.«
»Ach, sein Name ist dir aber doch noch
auffallend geläufig.« Dona Doralice ergriff den Arm ihres Sohnes und sah ihn
ernst an. »Vielleicht sollten wir uns alle in den Salon begeben, einen Cognac
trinken und Vita endlich die ganze Wahrheit erzählen.« León nickte.
»Oh, ich denke, ich habe fürs Erste genug Wahrheiten
aufgedeckt. Auf weitere Enthüllungen bin ich heute nicht mehr erpicht.«
»Vita,
es folgen keine weiteren Enthüllungen. Aber gib León und mir wenigstens die
Chance, dir alles zu erklären. Wenn du erst begreifst, wirst du auch verzeihen
können.«
Vitória kniff die Lippen zu einem Ausdruck
unwilligen Einverständnisses zusammen und nickte. Sie würde sich
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