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Ana Veloso

Ana Veloso

Titel: Ana Veloso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Duft der Kaffeeblüte
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einem faulen Kompromiss überredete. Sie sollten ruhig schon einmal
vorausfahren, er, der Verursacher dieses Streiks, würde mit Vita reden, sich
bei ihr entschuldigen und später mit ihr nachkommen.
    Zwei Stunden später brachen Eduardo und Alma da
Silva, verkleidet als böser Wolf und Rotkäppchen, zu dem Ball auf. Kaum dass er
die Räder der abfahrenden Kutsche auf dem Kies hörte, gab León allen
Angestellten für den Rest des Abends frei. Auch sie fieberten ihren
Tanzveranstaltungen entgegen, wollten an den Umzügen teilnehmen, die die
mittellosen Leute auf den Straßen abhielten. Als im Haus Grabesstille
herrschte, goss er sich einen Whiskey ein, den dritten für heute. Doch der
Alkohol verfehlte seine Wirkung. Er stimmte León nicht fröhlich, sondern
intensivierte nur die düstere Laune, in der er sich befand. Wäre Vita ein Mann
gewesen, hätte er sich am liebsten mit ihr geschlagen, um seiner Wut ein Ventil
zu verschaffen. Doch so blieb ihm keine andere Möglichkeit, als seine Enttäuschung,
seinen Unwillen, seinen Hass in sich hineinzufressen und in Whiskey zu ertränken.
Er goss sich ein weiteres Glas ein.
    Dann hörte er Vitórias unruhig trippelnde
Schritte im Obergeschoss. Sie lief in ihrem Zimmer auf und ab wie ein
eingesperrtes Tier, das eine Fluchtmöglichkeit suchte. Selber schuld, dachte
er, Vita hatte sich ja aus freiem Willen in ihr Zimmer verzogen. Kurz darauf
klingelte sie nach dem Mädchen. Dann, ungehalten, ein weiteres Klingeln. León
lachte schadenfroh in sich hinein. Nein, Sinhazinha, diesmal musst du dich
schon selber bemühen.
    Vitória rief auf der Treppe nach Taís. Niemand
antwortete ihr. Die Stille im Haus war gespenstisch. Sie sah im Salon, im
Esszimmer, im Gartenzimmer und in der Küche nach, doch es schien sich niemand
außer ihr im Haus aufzuhalten. Immerhin würde sie dann auch keiner in ihrem
Aufzug sehen: Ein flüchtiger Blick in den goldgerahmten Spiegel in der
Eingangshalle hatte sie vor sich selber zurückweichen lassen. Ihr Haar löste
sich aus dem Knoten und fiel ihr in wilden Locken in die Stirn, ihr Kleid, in
dem sie auf dem Bett eingeschlafen war, war verknittert, ihre Augen waren
geschwollen, und auf ihrer Wange zeichneten sich die Falten des Kopfkissens ab.
Sie ging in ihr Arbeitszimmer, öffnete die Fenster und sah traurig auf die
Lichter der Stadt, in der heute Nacht alle feiern würden – außer ihr.
    »Ein hübsches Karnevalskostüm, das du da trägst.«
    Vitória zuckte zusammen, als sie plötzlich Leóns
Stimme hörte. »Was soll es darstellen? > Zerknirschte Sinhazinha < ?«
    »Nein. Es nennt sich > unverstandene Frau nach
seelischer Misshandlung durch einen farbigen Sadisten < .«
    »Du hast Recht, Vita. Lass mich meine
Verfehlungen wieder gutmachen und dich heute, an deinem Geburtstag, ein wenig
aufmuntern. Hier, trink einen Schluck.«
    Vitória nahm das Glas und stürzte den Inhalt in
einem Zug hinunter. Warum nicht Trost im Rausch suchen? Einen anderen Trost
hatte sie ja nicht – Aaron war über die Karnevalstage spontan verreist, was sie
als Feigheit auslegte und ihm übel nahm.
    »Komm, wir machen einen Ausflug.«
    »So, wie ich aussehe? León, sollte mich dein
sinkendes ästhetisches Empfinden beunruhigen?«
    »Wir werden niemandem begegnen, der uns kennt.«
    Vitória, von dem ungewohnten Genuss des Whiskeys
bereits ein wenig beschwipst, ließ sich von León nach draußen ziehen, die Straße
hinunter bis zur nächsten Kreuzung. Dort pfiff er eine Kutsche heran.
    Die Luft, heiß und klebrig, duftete nach Meer.
Vitória schloss die Augen und ließ sich die Fahrt gefallen, in dem Glauben, sie
führen zur Strandpromenade. Ja, das Krachen der Brandung und der Blick auf die
Wellen hatten immer etwas Tröstliches. Wenigstens in diesem Punkt verstand León
sie. Vielleicht war er doch nicht so ein Schuft.
    Doch die Geräusche um sie herum ließen sie
aufblicken. Das ferne Dröhnen von Trommeln, klackernde Hufe auf
Pflastersteinen, vereinzeltes Gelächter – das klang nicht nach nächtlich
verwaister Strandpromenade.
    »Wohin fahren wir?«
    »Nach Lapa, zu den Umzügen der Schwarzen.«
    »Dass du dich unter ihnen wohl fühlst, kann ich
mir denken. Aber was soll ich dort?«
    »Sieh es dir einfach an. Vielleicht bringt es
dich auf andere Gedanken.«
    »Von mir aus«, sagte Vitória, des Streitens müde
und vom Alkohol erschlafft. »Aber ich bin nicht einmal verkleidet.«
    »Das haben wir gleich.« León zog die Nadeln aus
Vitórias ohnehin schon zerrupfter

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