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Ana Veloso

Ana Veloso

Titel: Ana Veloso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Duft der Kaffeeblüte
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zu
stark gerüschten, rosafarbenen Abendkleid, blickte milde lächelnd auf den Betrachter
und hatte dabei eine frappierende Ähnlichkeit mit der heiligen Jungfrau Maria,
wie sie auf Sammelbildchen abgebildet war. León, auf dem Gemälde einen Kopf größer
als sie, wo er sie in Wahrheit nur um einen halben Kopf überragte, hatte eine
hellere Hautfarbe, mittelbraunes Haar und eine fantasievolle Galauniform
verpasst bekommen und sah aus wie ein gütiger Patriarch.
    Vitória hatte sich das Gemälde, das mit seinem
Format von zwei Metern Breite und drei Metern Höhe das Speisezimmer dominierte,
schon seit einer Ewigkeit nicht mehr genauer angesehen. Es war wie ein
kostbarer Teppich, ein geerbtes Möbelstück, eine elegante Porzellantasse, die
man anfangs wunderschön findet und mit größter Vorsicht benutzt, bis man sich
nach einer Weile an den Gegenstand gewöhnt hat und ihm keinen Wert mehr
beimisst. Das Gemälde war Vitória kaum interessanter erschienen als die Tapete
mit den Blätterranken – bis ihr Gast ihrer aller Aufmerksamkeit darauf
richtete. Es erschien ihr in einem Maße prätentiös, dass es schmerzte. Wie
hatte sie diese verherrlichende Darstellung von sich und León jemals schön
finden können? Und wieso hing diese Monstrosität, die ihre zerbrochene Ehe verhöhnte,
überhaupt noch hier?
    »Lieber Senhor Gianellini«, sagte sie nun, um
von dem grauslichen Bild abzulenken, »erzählen ...«
    »Gianecchini.«
    »0 ja, wie unverzeihlich von mir! Also, Senhor
Gianecchini, berichten Sie uns doch lieber von Ihren Eindrücken Brasiliens. Sie
sind zum ersten Mal in diesem Land, nicht wahr? Was halten Sie davon? Wie gefällt
Ihnen Rio de Janeiro?«
    »Ah, cara Signora Castro! Meine Bewunderung lässt
sich kaum in Worte fassen. Was für eine Stadt! Was für Menschen! Alles ist so
farbenfroh, so laut, so chaotisch – so vital! Heute hat mich Ihr sehr geschätzter
Herr Gemahl mit zu einem Wochenmarkt genommen, und allein dort habe ich
hunderte von Motiven für meine Kunst entdeckt: die Süßwaren aus Kokosnuss und
Maniok; die aufgebauten Obsttürme aus Früchten, die in Europa ein Vermögen
kosten, Mangos, Ananas, Passionsfrüchte sowie unzählige andere, die ich nicht
kannte und deren Namen ich mir aufschreiben musste; die schwarzen Marktweiber
mit ihren weißen Turbanen; die Dienstboten reicher Leute, die dort einkaufen
gingen und denen ihre Überheblichkeit ins Gesicht geschrieben stand; der
zahnlose Leierkastenmann, auf dessen Schulter ein kleiner Affe saß; die Vogelkäfige
in den Fenstern der umliegenden Häuser, in denen exotische Vögel ihr Gefieder
putzten; und ... ach, so viele pittoreske Details, dazu unbekannte Gerüche und
Geräusche und die Hitze es war ein Fest für die Sinne!«
    »León«, warf Dona Alma ein, »warum zeigst du
deinem Freund nicht die schönen Seiten dieser Stadt, den Kaiserpalast oder die
wunderschönen barocken Kirchen? Er muss ja glauben, wir lebten fernab jeglicher
Kultur und Zivilisation.«
    »Sehr verehrte Signora Dona Alma«, antwortete
Gianecchini anstelle Leóns, »Ihr Schwiegersohn war nur so freundlich, meine Wünsche
zu erfüllen. Ich bin es, der die Märkte, die Wohnviertel der Armen, die
Hafendocks, aber auch die Parks und den Giardino Botânico sehen will. Kirchen
haben wir in Italien in mehr als ausreichender Zahl, auch Paläste, Monumente,
Museen. Aber wir haben weder Schwarze noch indianische Eingeborene, wir kennen
nicht diese Vielfalt an Pflanzen und Tieren – obwohl Italien sicher das fröhlichste
und fruchtbarste Land Europas ist, wie Ihnen León gewiss berichtet hat.«
    Ja, das hatte er, dachte Vitória. Vor langer,
langer Zeit, als er noch ein verwegener Draufgänger und sie die unbedarfte
Sinhazinha gewesen war – und als sie sich von Leóns Weltgewandtheit so
beeindrucken ließ, dass sie ihn sogar heiratete. Nur über die Bekanntschaften,
die er in der Alten Welt geschlossen, über Freunde, die er gewonnen hatte oder
bemerkenswerte Menschen, denen er begegnet war, hatte er so gut wie nie
gesprochen. Umso größer war ihr Erstaunen gewesen, als er vor ein paar Wochen
angekündigt hatte, dass sie Besuch von einem alten Freund bekommen würden, von
einem Maler aus Mailand.
    Es geschah nicht oft, dass León Gäste nach Hause
einlud, vielleicht weil er selber sich hier schon nicht mehr heimisch fühlte.
Er hatte in den letzten Monaten mehr Nächte im Hotel Bristol verbracht als in
seinem eigenen Schlafzimmer. Vitória vermutete, dass er dem Freund aus

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