Ana Veloso
traurige
Botschaft ausgerichtet hätte. Klumpfuß beschrieb den Angestellten genauer, und
Félix, der in der Beschreibung sogleich den Verkäufer Sebastião erkannte, nahm
sich vor, dem Mann fristlos zu kündigen.
Seine alten Nachbarn berichteten ihm in verschiedenen
Varianten, wie José ums Leben gekommen war. Klumpfuß wollte gesehen haben, dass
José sich absichtlich auf die Straße gelegt hatte, während Dona Juliana »mit
absoluter Sicherheit« wusste, dass José wieder seine Zustände gehabt hatte und
das Ganze deswegen nur als tragischer Unfall betrachtet werden könne. Feijäo
glaubte bemerkt zu haben, wie José seine Uniformjacke zurechtgestrichen hatte,
als ginge er zu seinem eigenen Begräbnis, wohingegen die kleine Joana gehört
haben wollte, dass José in dieser Nacht ein fröhliches Lied geträllert hatte.
Aus all diesen Beobachtungen reimte sich Félix seine eigene Wahrheit zusammen:
José war nachts aufgestanden, hatte sich verirrt und war am Ende auf die
Hauptstraße am Fuße ihres Hügels gelangt, wo er von einer Kutsche überrollt
worden war. Was für ein Tod für den alten Kutscher!
Josés Begräbnis war schlicht, aber würdevoll.
Fast alle Nachbarn aus Quintino waren gekommen, desgleichen die gesamte Familie
da Silva und alle ihrer Dienstboten, die José noch von Boavista gekannt hatten.
Luiza stand gramgebeugt am Grab, als sei sie die Witwe. Eduardo, den José durch
alle Höhen und Tiefen seines erwachsenen Lebens begleitet hatte, weinte tränenlos
– nur das Beben seines Körpers in dem schlackernden schwarzen Anzug verriet ihn.
Félix und Fernanda hielten sich an den Händen, desgleichen Pedro und Joana. Nur
Vitória und León standen einen halben Meter voneinander entfernt und starrten
trübsinnig in das offene Grab. Félix, der hier viele seiner ehemaligen Leute
von Boavista zum ersten Mal seit seiner Flucht wiedersah, verschwendete keinen
Gedanken an das Aussehen, das Benehmen und die Befindlichkeiten der anderen:
Seine Trauer machte ihn blind für alles, was um ihn herum geschah.
Als die Beisetzung zu Ende war, kam Jorge auf Félix
zu. »Ich sollte warten, bis er unter der Erde ist, hat er gesagt.« Damit zog er
einen mit Fettflecken verunreinigten Zettel aus seiner Brusttasche, entfaltete
ihn und gab ihn Félix zu lesen. Es war das Testament, das José seinem Freund
Jorge, der Mitglied des »Bezirksausschusses« war, wie sich der ehemalige Ältestenrat
jetzt nannte, diktiert hatte.
Lieber Félix,
wenn du dies liest, bin ich tot. Aber sei
nicht traurig, denn ich bin jetzt im Himmel, bei meiner Marta. Weil ich nicht
weiß, wo mein eigenes Kind lebt, ob es überhaupt lebt, und weil du mir immer
warst wie ein leiblicher Sohn, sollst du alles erben, was ich besitze, außer
der Geige, die soll Luiza bekommen. Und die Truhe mit den Silberbeschlägen
auch.
Ich war mein ganzes Leben lang Sklave, fünfzig
Jahre davon Kutscher. Die Herrschaften stecken einem immer mal eine Münze zu,
ihre Gäste auch, oder die Handwerker, Händler und Doktoren, wenn man etwas
abholt oder hinbringt, und wenn man alles schön spart, kommt einiges zusammen.
Ich hätte mir schon vor Jahren die Freiheit kaufen können, aber wozu? Mir ging
es gut auf Boavista, und warum sollte ich Geld für Essen oder Kleidung oder ein
Zimmer ausgeben, wenn ich all das doch umsonst hatte? Also, ich habe jedenfalls
keinen Vintém ausgegeben, und jetzt erbst du ein kleines Vermögen. Das hast du
auch verdient, denn du bist ein braver Junge und hast dich immer um mich gekümmert,
ohne etwas dafür zu verlangen. Das Geld liegt auf der Banco do Brasil, ja, da
staunst du, was?! Der alte José hat ein eigenes Bankkonto! Du brauchst nur
dorthin zu gehen und es dir zu holen, aber ich rate dir, es dort liegen zu
lassen, denn es vermehrt sich ständig.
Also, mein Junge, sei gut zu deiner Fernanda,
ehre deinen Vater, kümmere dich um Luiza, wenn sie mal krank wird, und führe
ein gottgefälliges Leben! Adeus.
Gezeichnet: José da Silva – XXX
Die drei Kreuzchen, die Josés Unterschrift
darstellten, lösten in Félix einen neuerlichen Leidensschub aus. Der Alte hatte
nie lesen oder schreiben gelernt, aber was für eine Herzensbildung! Mit
zitternden Händen nahm Félix das Testament an sich. Er legte den Arm um
Fernanda, die zu ihnen herangetreten war, und verließ mit hängendem Kopf den
Friedhof São João Batista. Später am Tag, als Fernanda das Testament gelesen
hatte, erklärte er ihr, dass sie unbedingt den einzigen Nachfahren Josés
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