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Ana Veloso

Ana Veloso

Titel: Ana Veloso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Duft der Kaffeeblüte
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mit einem zugeschwollenen Auge, einer genähten Braue,
violett-schwarzen Flecken auf der linken Wange. Aber er atmete, und seine Lider
flatterten, als versuche er, die Augen zu öffnen.
    Keiner von ihnen sagte etwas. Dona Alma setzte
sich auf den Bettrand und nahm die Hand ihres Sohnes, auch diese voller Kratzer
und kleinerer Wunden, während Eduardo und Vitória voll Entsetzen hinter ihr
stehen blieben.
    Aus der Ecke hörte man ein kurzes Röcheln. Vitória
drehte sich herum und sah João Henrique mit ausgestreckten Beinen in einem
Sessel hängen, den Kopf seitlich abgenickt, den Mund halb geöffnet.
    »Pst«, sagte Joana leise zu Vitória, »lass ihn
schlafen. Er hat ihn operiert und medikamentiert und gepflegt – gönnen wir ihm
eine kurze Pause.«
    Wieder schnarchte João Henrique. Vitória fand,
dass dieser unausstehliche Mensch mit seiner widerlichen Affenstirn nichts im
Schlafzimmer ihres Bruders verloren hatte, solange er nicht seiner ärztlichen
Pflicht nachkam. Schlafen konnte er ja auch woanders. Aber sie hielt an sich.
Es war ja auch Joanas Schlafzimmer, sie musste diesen Kerl schon hinauskomplimentieren.
Aber Joana wischte Pedros Stirn mit feuchten Tüchern ab und war die Effizienz
in Person, die sich durch nichts ablenken ließ.
    Als ein neuerliches ersticktes Röcheln aus der
Ecke kam, ging schließlich Eduardo auf den Arzt zu und rüttelte ihn an der
Schulter. João Henrique schlug die Augen auf und sprang aus dem Sessel auf.
    »Sagen Sie uns, wie ernst es ist.« Eduardo
wirkte nicht wie ein besorgter Vater, sondern wie ein Wissenschaftler, der sich
von einem Kollegen eine knappe Zusammenfassung des Falls wünscht.
    João Henrique kam der Aufforderung nach, froh,
keine aufgelösten Verwandten beruhigen zu müssen. Das hatte ihm noch nie
gelegen, während er bei der reinen Medizin in seinem Element war. »Schädelbasisbruch.
Verschiedene Knochenbrüche: Rippen, Oberschenkel, Schienbein. Blutverlust.
Unterkühlung. Ich habe alles versucht – ich fürchte, jetzt hilft nur noch
beten.«
    »Er hat immer so gern am Arpoador gesessen«,
sagte Joana tonlos. »Ja.« Vitória konnte nur zu gut verstehen, welchen Reiz die
Felsspitze am südlichen Ende des Strandes von Copacabana auf ihren Bruder ausgeübt
hatte. Sie selber war schon auf die Felsen geklettert, sie kannte die
hypnotische Wirkung der Brandung. Ob es sich so zugetragen hatte? War Pedro,
fasziniert von den mörderischen Brechern, unvorsichtig geworden? Hatte er sich
zu nah ans Wasser herangewagt, war er von einer besonders hohen Welle erwischt
worden, dann abgerutscht und schließlich in der schäumenden Gischt
untergegangen? Wie mochte er sich gefühlt haben, als er in dem Toben des Meers
herumgeschleudert worden war, nach Luft schnappend, nach Orientierung suchend?
Hatte er noch in dem blau perlenden Wasser, das über ihm zusammenschlug, sowie
in den herumwirbelnden, glitzernden Sandkörnern die Anmut erkannt, bevor sein
Kopf auf den Felsen geschlagen war? Vitória und Joana sahen sich an. Jede
erkannte im Gesicht der anderen, dass sie dasselbe schaurig schöne Bild vor
Augen gehabt hatte. Aufschluchzend fielen sie sich in die Arme.
    Vitória verließ den Raum, als sie es läuten hörte.
Sie ging mit Maria do Céu zusammen nach unten, ließ León herein und trug dem Mädchen
auf, belegte Brote und eine Kanne Kaffee nach oben zu bringen. Da Joana im
Krankenzimmer beschäftigt war, würde sie, Vitória, den Dienstboten eben sagen müssen,
was sie zu tun hatten. Sie war dankbar, dass sie sich nützlich machen, sich mit
praktischen Dingen beschäftigen konnte, die sie von dem Todeskampf ihres
Bruders ablenkten. Zumindest für einige Minuten.
    Vitória begleitete León nach oben. Das kleine
Schlafzimmer quoll über vor Menschen, die Luft war verbraucht. Vitória ging ans
Fenster und öffnete es.
    »Aber wir müssen es hier warm halten, wegen
seiner Unterkühlung«, sagte Dona Alma weinerlich.
    »Mäe, draußen sind es an die dreißig Grad. Außerdem
bin ich mir sicher, dass Pedro lieber an Unterkühlung als an Sauerstoffmangel
stirbt«, sagte Vitória patzig und spürte sofort, wie sie rot anlief. Himmel, so
etwas sagte man im Spaß, aber doch nicht in Gegenwart eines geliebten Menschen,
der wirklich im Sterben lag! Sie ging zu León, der ihre Hand nahm, und an
seinem verkrampften Griff spürte Vitória, dass auch er versuchte, seine Gefühle
unter Kontrolle zu halten.
    León zog Vitória mit sich nach draußen und
forderte auch João Henrique auf,

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