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Ana Veloso

Ana Veloso

Titel: Ana Veloso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Duft der Kaffeeblüte
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geschah, obwohl sie durch die nach oben offenen
Trennwände jedes Geräusch gehört haben dürften. Also musste Félix selber
eingreifen. Er sprang blitzschnell auf, und noch bevor der Dicke seinen Kumpan
warnen konnte, bohrte er seine Finger in die Augenhöhlen des Dünnen. Das Blatt
wendete sich schnell zu Gunsten Félix' und Lauros. Der Dünne war ausgeschaltet –
er krümmte sich und hielt die Hände auf seinen Augen. Den Dicken hatten sie zu
zweit windelweich geprügelt. Lauro grinste Félix an. Sein linkes Auge war so
dick geschwollen, dass er kaum dadurch sehen konnte, aber das schien seiner
Freude keinen Abbruch zu tun. »Komm, nehmen wir uns, was uns zusteht.«
    In den darauf folgenden Tagen und Wochen waren
die Besitzverhältnisse für die Kaffeesäcke in der Kammer zwar geregelt, doch es
lag immerzu Streit in der Luft. Guga, der Dicke, und Matias, der Dünne,
provozierten die Neuen, wo sie nur konnten. Sie stahlen ihre Lebensmittelrationen,
boykottierten ihre Arbeit und verbreiteten hässliche Unwahrheiten über sie.
Hilfe durften Félix und Lauro von niemandem erwarten. Es war, wie Carlos gesagt
hatte: Sie waren zwar keine Sklaven mehr, aber deshalb noch lange keine Herren.
Auf Esperanca würden sie lernen, für sich selber zu denken und zu handeln,
damit sie für die Zeit danach gewappnet waren. Kein Schwarzer blieb länger als
ein Jahr hier. Dann wurde er, mit falschen Papieren, Schuhen, ein wenig Bildung
und etwas Geld ausgestattet, in die echte Freiheit entlassen. Gregório hatte
ihnen gleich zu Anfang ihres Aufenthaltes klargemacht, dass nur einer unter
tausend das Zeug dazu hatte, in der Welt da draußen ein menschenwürdiges Dasein
zu fristen. »Ihr glaubt, wenn ihr ein bisschen Geld verdient habt, könnt ihr
nach Rio de Janeiro gehen und dort ein lustiges Leben führen. Aber ihr braucht
mehr als das. Die meisten von euch landen in der Gosse. Ihr müsst euch als
Arbeiter allerunterster Stufe verdingen, müsst viel mehr schuften als auf den
Fazendas, wo ihr herkommt, und die paar Vinténs, die ihr am Tag verdient, gebt
ihr dann für Hurerei und Schnaps aus. Das ist die traurige Wahrheit. Dabei hat
jeder von euch die Chance, es besser zu machen. Wir lehren euch hier, wie. Wer
sich das zu Herzen nimmt, was wir ihm beibringen, kann es durchaus zu einem
eigenen kleinen Handwerksbetrieb bringen oder Gewinn bringend Handel treiben.«
    Félix wusste, dass weder Guga noch Matias es
schaffen würden. Auch bei Lauro war er sich sicher, dass ihm sein Temperament
im Weg stehen würde. Und er selber? Wegen seiner Stummheit besaß er nicht
gerade die idealen Voraussetzungen, um allen Widrigkeiten des Lebens gewachsen
zu sein. Andererseits verdankte er vielleicht gerade diesem Gebrechen seine phänomenale
Auffassungsgabe. Bei dem Unterricht, den sie auf Esperança jeden Tag erhielten,
hatte er die Leute, die mit ihm hier eingetroffen waren, schnell hinter sich
gelassen. Keiner von ihnen war so begierig darauf wie er, Lesen und Schreiben
zu lernen. Endlich würden ihm mehr und feinere Ausdrucksmittel zur Verfügung
stehen als Mimik und Gestik! Auch das Rechnen fiel ihm leicht, und so war er
innerhalb kürzester Zeit zum Liebling von Dona Doralice, der Lehrerin,
geworden.
    Sie war um die fünfzig Jahre alt und noch immer
eine Schönheit. Auch sie war einmal eine Sklavin gewesen, vor vielen Jahren,
doch über die genauen Umstände ihrer Befreiung schwieg sie sich aus. Sie sprach
mit einem leichten spanischen Akzent und hatte unverkennbar indianische Züge.
Man vermutete, dass sie aus einer Grenzregion nahe Uruguay, Paraguay oder
Argentinien stammte. Félix betete Dona Doralice an, was ebenfalls dazu beitrug,
dass er, anders als die meisten anderen Menschen hier, die Unterrichtsstunden förmlich
herbeisehnte. Während Lauro über den Mangel an Freizeit klagte, denn immerhin
mussten sie jeweils vor und nach der achtstündigen Arbeit zwei Stunden lang die
Schulbank drücken, hätte Félix hebend gern noch mehr Unterricht gehabt.
    Um die Gunst der Lehrerin konkurrierte nur noch
ein Mädchen, das Fernanda hieß und etwa sechzehn Jahre alt war. Félix konnte
Fernanda nicht ausstehen. Sie war hochnäsig und besserwisserisch, und sie ließ
sich mit keinem der Jungen und Männer von Esperança ein, obwohl sie viele
Verehrer hatte. Félix verstand nicht, was sie an dem Mädchen fanden. Fernanda
hatte zwar ein hübsches Gesicht, war aber für seinen Geschmack viel zu klein
und zu pummelig. Sie hatte einen riesigen Busen, den

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