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Ana Veloso

Ana Veloso

Titel: Ana Veloso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Duft der Kaffeeblüte
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älteren Leute kommen damit nicht zurecht. Sie haben in jahrzehntelanger
Knechtschaft verlernt, für sich selber Verantwortung zu übernehmen. Es ist
nicht leicht, aber dir wird es gelingen.«
    Félix war stolz, dass ein Mann wie León Castro
ihm so viel zutraute.
    »Hast du dir schon Gedanken darüber gemacht,
welchen Beruf du ergreifen willst?«, fragte ihn León.
    Ja, das hatte er. Aber er war zu keinem vernünftigen
Ergebnis gelangt. Er konnte ein Handwerk erlernen, Schmied oder Tischler
werden, denn er hatte einen kräftigen Körper und geschickte Hände. Aber viel
mehr reizte ihn ein Beruf, bei dem er sein neu erworbenes Wissen einsetzen
konnte. Der Unterricht im Lesen, Schreiben und Rechnen hatte ihn auf den Geschmack
gebracht, hatte ihm ganz neue Perspektiven eröffnet. Aber wäre es nicht
vermessen, diesen Wunsch zu äußern?
    Félix zuckte mit den Schultern.
    »Du solltest es dir aber recht bald überlegen,
Junge. Nur dann können wir dir hier das entsprechende Rüstzeug mitgeben. Könntest
du dir vorstellen, in einem Kontor zu arbeiten?«
    Félix nickte begeistert.
    »Ich habe einen Freund in Rio, der ein großes
Handelshaus leitet und der einen wie dich gut gebrauchen könnte. Einen, der
rechnen kann, zuverlässig ist und verschwiegen.«
    Félix runzelte die Augenbrauen. Wenn man
Stummheit mit Verschwiegenheit gleichsetzte, bitte sehr. Er fand diesen
Gedanken absurd, schließlich konnte er ebenso indiskret sein wie jeder andere.
    »Sieh mich nicht so skeptisch an, Félix. Ich
spiele keineswegs auf deine Stummheit an. Wenn ich Verschwiegenheit sage, meine
ich Verschwiegenheit. Und ich weiß, dass du ein Geheimnis bewahren kannst.«
    León fixierte den Jungen mit einem Blick, der Félix
Angst einjagte. »Wenn dieser Freund von mir dich einstellen soll, wirst du noch
viel lernen müssen. Ich pflege meinen Freunden keine Arbeitskräfte zu
empfehlen, die nicht absolut vertrauenswürdig sind oder den Anforderungen nicht
entsprechen. Wenn du dir vorstellen kannst, den Rest deines Lebens über
Zahlenkolonnen in einem stickigen, dunklen Schreibraum zu verbringen, dann würden
wir dir hier auf Esperança in den nächsten Monaten intensiveren Unterricht
geben. Du musst es nur sagen.«
    Félix kratzte sich unentschlossen am Kopf. Die
Aussicht auf ein Leben in einem düsteren Kontorraum war, wenn es dort so
zuging, wie León es beschrieben hatte, nicht gerade rosig. Andererseits würde
er, falls er sich jetzt für diesen Beruf entschied, weniger Zeit mit der tumben
Arbeit auf den Feldern und mehr mit dem Unterricht bei Dona Doralice
verbringen. Das gab den Ausschlag. Er hob den Daumen als Zeichen seiner
Zustimmung und grinste übers ganze Gesicht.
    »Eines noch, Félix. Mein Freund mag keine Leute,
die ihr hart verdientes Geld bei Dirnen lassen.«
    Félix wollte am liebsten im Boden versinken.
Sogar León hatte davon erfahren! Er griff über den Tisch, um sich den Zettel
und den Stift zu nehmen. Er schrieb: »Ich musste.«
    León lachte. »Ja, ich weiß. Die alten Kerle
haben sogar für dich gesammelt. Darauf kannst du dir wirklich etwas einbilden –
das würden sie bei niemandem sonst tun. Du scheinst so eine Art Maskottchen für
sie zu sein. Aber tu es nie wieder. Nicht, weil ich es verwerflich finden würde.
Aber bei den Huren kannst du dir schlimme Krankheiten holen.«
    Félix nickte ernst. Er hatte ohnehin nicht die
Absicht, Lili erneut aufzusuchen.
    »Dann wäre ja alles geklärt. Ich werde dafür
sorgen, dass Dona Doralice dir ab sofort jeden Tag fünf Stunden Unterricht
gibt. Enttäusche sie nicht. Streng dich an. Du musst in kurzer Zeit alles
aufholen, wofür andere Leute jahrelang in die Schule gegangen sind. Aber ich
weiß, dass du das Zeug dazu hast.« León stand auf und gab Félix die Hand. Die
Unterredung war beendet.
    Die nächsten Monate waren die Hölle für Félix.
Er war nicht länger das Maskottchen der anderen Männer, sondern im Gegenteil
das bevorzugte Ziel ihrer Bösartigkeiten. Sie unterstellten ihm Faulheit, weil
er nicht so lange wie sie schuften musste. In Wahrheit arbeitete er viel mehr
als sie, nächtelang brütete er über seiner Tafel und den Büchern, die Dona
Doralice ihm geliehen hatte. Sie warfen ihm Arroganz vor, weil er sich, in
ihren Augen, für klüger hielt als sie. Sie verspotteten und drangsalierten ihn,
wann immer sich ihnen die Gelegenheit dazu bot. Wäre Lauro nicht gewesen, hätte
man Félix die Bücher gestohlen und ihn noch mehr gedemütigt. Zwar hielt auch
Lauro

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