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Ana Veloso

Ana Veloso

Titel: Ana Veloso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Duft der Kaffeeblüte
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nicht viel von dieser Sonderbehandlung seines Freundes, aber tief in
seinem Innern war er davon überzeugt, dass Félix sich ihrer würdig erweisen würde.
Er schwankte zwischen Neid und Bewunderung, was er vor den anderen Männern
niemals zugegeben hätte.
    Im Unterricht war es nicht viel besser. Als Félix
noch mit den anderen gemeinsam unterrichtet wurde, war ihm alles leicht
gefallen. Doch jetzt hatte Dona Doralice das Tempo und das Pensum so stark
heraufgesetzt, dass Félix schier daran verzweifelte. Außer ihm hatte man auch
Fernanda dazu auserkoren, diese Extra-Stunden zu bekommen, und ihr erging es
nicht viel besser als ihm. Doch anstatt sich zusammenzuraufen, gemeinsam zu
lernen und dadurch die Schinderei erträglicher zu machen, waren Fernanda und Félix
erbitterte Konkurrenten. Sie zeigte sich im Schreiben gelehriger als er und gab
die Geschwindigkeit vor, in der die Grammatiklektionen abgehalten wurden. Félix
kam kaum hinterher. Er wiederum war im Rechnen besser als sie und sorgte dafür,
dass Fernanda nächtelang büffeln musste, um mit ihm Schritt zu halten. Am
meisten Spaß machte beiden der Unterricht in Sachkunde. Was sie da von fernen Ländern,
heimischen Pflanzen und Tieren, großen Entdeckern und Seefahrern, historischen
Schlachten und aktuellen politischen Geschehnissen erfuhren, eröffnete ihnen
neue Horizonte – und machte ihnen erst das ganze Ausmaß ihrer Unwissenheit
bewusst.
    »Wissen ist Macht«, brachte Dona Doralice ihnen
bei. »Deshalb verweigern euch die Weißen Bildung. Wer lesen kann und sich mit
der Lektüre von Zeitungen oder Büchern auf dem Laufenden hält, könnte auf Ideen
kommen, die ihnen nicht passen.«
    »Aber sie hätten auch Vorteile dadurch«, schrieb
Félix auf seine Tafel. »Sie könnten Sklaven in der Verwaltung einsetzen.«
Fernanda sah ihn an, als sei er nicht ganz bei Trost. »Warum sollten sie einen
wie dich in der Verwaltung einsetzen? Damit du ihre Bücher siehst und weißt,
was für Gewinne sie erzielen?«
    »Warum nicht? Es ist ja kein Geheimnis, dass sie
reich sind.«
    »Sie fürchten«, antwortete Fernanda, »einer von uns könnte schlau
genug sein, sie übers Ohr zu hauen.« Sie zwinkerte Félix komplizenhaft zu. Er lächelte
zurück. Es war das erste Mal, dass sich zwischen ihnen so etwas wie
freundschaftliches Einverständnis zeigte. Sie beide, das mussten sie sich
gegenseitig bei aller Rivalität zugestehen, wären schlau genug, die Weißen mit
ihren eigenen Waffen zu schlagen. Ob sie es auch tun würden, stand auf einem
anderen Blatt.
    Dona Doralice war stolz auf ihre Schützlinge.
Anfangs hatte sie die Konkurrenz zwischen ihnen gefördert, weil die beiden
dadurch schneller vorankamen. Wie aber sollte sie ihnen jetzt beibringen, dass
die Schwarzen unter allen Umständen zusammenhalten mussten, ganz gleich,
welchen Geschlechts oder Alters sie waren, und dass man gemeinsam stärker war
als allein? Félix gab vor, Fernanda nicht ernst zu nehmen, weil sie ein Mädchen
war, und Fernanda gab Félix das Gefühl, ein dummer Junge zu sein, der um vieles
unreifer war als sie.
    »Ihr seid klüger als die anderen«, sagte Dona
Doralice eines Tages mit strenger Miene. »Aber ihr seid dumm genug, euch
gegenseitig das Leben schwer zu machen. Als sei es nicht schon schwer genug–gerade
für euch. Ich weiß, dass die anderen euch schneiden, dass ihr kaum Freunde hier
habt. Der einzige Mensch, der euch aus dieser Einsamkeit befreien könnte, sitzt
euch tagtäglich gegenüber.« Félix und Fernanda sahen betreten auf das Pult vor
sich und taten so, als fesselten die eingeritzten Initialen und Symbole ihre
Aufmerksamkeit. Schließlich gab sich Fernanda einen Ruck. Sie blickte auf und
straffte ihre Schultern.
    »Dona Doralice, Ihre Einschätzung in allen
Ehren, aber was glauben Sie, was die anderen erst sagen würden, wenn wir enger
miteinander befreundet wären? Sie würden uns für ein Paar halten und uns
permanent damit aufziehen. Und ehrlich gesagt: Ich will nicht, dass man mir
einen so schlechten Geschmack unterstellt, dass ich ausgerechnet etwas mit
diesem Kind anfange.«
    »Dieses Kind, liebe Fernanda, ist zurzeit
der einzige Mensch auf dieser Fazenda, der dir das Wasser reichen kann. Ich weiß,
dass du deiner Freundin Lídia nachtrauerst, und ich weiß, dass dir kein Junge
oder Mann die Freundschaft mit einem anderen Mädchen ersetzen kann. Aber Lídia
ist nun einmal nicht mehr hier, und eines solltest du bereits gelernt haben:
Wenn du schon die Umstände nicht

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