Ana Veloso
ändern kannst, dann mach wenigstens das Beste
daraus.«
»Das Beste wäre, ich müsste diesen blöden Jungen nicht mehr jeden Tag
ertragen!«
Dona Doralice sah Fernanda wütend an. »Das
kannst du haben. Die nächsten zwei Wochen bist du vom Unterricht befreit. Du
wirst im Waschhaus Gelegenheit haben, über deine Unverschämtheit nachzudenken.«
Fernanda setzte zu einer Antwort an, überlegte
es sich dann aber anders. Sie nahm ihre Sachen, stand so ruckartig auf, dass
ihr Stuhl umkippte, und rauschte aus dem Raum. Zurück blieb eine Stille, in der
Félix und Dona Doralice sich betreten und schuldbewusst anschauten.
Félix hatte Mitleid mit Fernanda. Er sah sie mit
den anderen Frauen vor dem Waschhaus, wo sie Wäsche auswrangen und zum Trocknen
aufhängten. Er sah Fernandas rissige Hände, die an diese Arbeit und an die
Natron-Seifenlauge nicht gewöhnt waren. Er ahnte, wie sie leiden musste, nicht
nur, weil sie gehänselt wurde, sondern auch, weil sie nun den Unterricht
verpasste und er einen Vorsprung haben würde, den sie kaum noch aufholen
konnte. Er sah sie manchmal vor dem Frauenhaus, wie sie verbissen über einem
Buch saß und dabei verstohlen gähnte. Nach einer Woche musste sich Félix
eingestehen, dass er sie vermisste. Der Unterricht machte ohne die Konkurrentin
nicht mehr halb so viel Spaß.
Außerdem fand er ihre Bestrafung zu hart, schließlich
hatte Fernanda nichts weiter verbrochen, als die Wahrheit zu sagen. Ihm dagegen
hatte es an Mut gemangelt, seine Meinung zu äußern, die der von Fernanda gar
nicht unähnlich war.
Er nahm all seinen Mut zusammen und ging zum
Waschhaus. »Geh mir aus dem Weg, du Kröte!«, fuhr ihn Fernanda an, als er auf
sie zukam.
Félix gab ihr zu verstehen, dass er ihr helfen
wollte. Das Auswringen der Wäsche wäre leichter, wenn er mit anpackte.
»Du ergötzt dich doch nur an meiner Lage!« Sie
schob ihn unwirsch beiseite.
Aber Félix insistierte so lange und mit einem
solchen Hundeblick, dass Fernanda schließlich lachen musste. »Also schön, wenn
du dich unbedingt dafür verspotten lassen willst, dass du Frauenarbeit machst.
Hier, den kannst du mir hinters Haus tragen.« Damit zeigte sie auf einen
riesigen Bottich, in dem fertig gewaschene Sachen lagen. Auf der Südseite des
Gebäudetraktes war es weniger staubig, dort wurde die Wäsche aufgehängt. Auch
dabei half Félix ihr, denn aufgrund seiner Größe fiel es ihm leichter, die großen
Stücke an der hoch gespannten Leine festzuklemmen.
Von diesem Tag an waren Félix und Fernanda
unzertrennlich. Zwar zankten sie weiterhin häufig, und im Unterricht versuchten
sie noch immer einander auszustechen, aber sie lernten gemeinsam und verbrachten
so viel Zeit miteinander, wie sie erübrigen konnten. Obwohl man ihnen eingeschärft
hatte, möglichst gar nicht mehr an ihr früheres Leben in der Sklaverei zu
denken, geschweige denn davon zu erzählen, saßen Félix und Fernanda oft
zusammen im Schatten eines Jambeiro-Baumes und gaben sich Erinnerungen hin. Das
Heimweh wurde erträglicher, wenn man es mit jemandem teilen konnte, der ähnliche
Erfahrungen gemacht hatte. Dass sie eines Tages ebenso wehmütig auf ihr
jetziges Leben auf Esperança zurückblicken würden, kam ihnen nicht in den Sinn.
VII
Dona Alma starrte trübsinnig aus dem Fenster. Es
war seit fast fünf Jahren die erste Reise, die sie unternahm. Sie hatte sich
mehr darauf gefreut, als sie vor ihrem Mann oder ihrer Tochter zuzugeben bereit
war, aber jetzt, da sie ihrem Ziel unaufhaltsam näher kamen, überfiel Dona Alma
eine vage Melancholie. Solange sie auf Boavista war, wo alles seinen gewohnten
Gang ging, hielten die monotonen Verrichtungen des Alltags sie davon ab, allzu
genau über ihr Leben nachzudenken. Sie hatte sich in ihr Schicksal gefügt, das
weit weniger glanzvoll war, als es von außen den Anschein haben mochte. Herrin
einer großen Kaffee-Fazenda zu sein bedeutete vor allem: viel Arbeit und noch
mehr Arger. Obwohl Vitória zahlreiche ihrer Aufgaben übernommen hatte, beschäftigte
sich Dona Alma noch immer deutlich mehr mit den schnöden Problemen des täglichen
Lebens, als es für eine wirklich feine Senhora ziemlich war. Die Qualität des
Bodens, störrische Sklaven oder krankes Vieh – das waren die Themen, welche die
Gespräche und Gedanken der Familie beherrschten. Über Poesie, Kunst oder Musik,
über teure Kleider oder pikante Details höfischer Intrigen wurde bei den da
Silvas kaum geredet. Nur sehr selten, wenn hoher Besuch kam
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