Ana Veloso
der lästigen
Wäsche, die im Wasser das Schwimmen erschwerte, weil sich unter ihr Luftblasen
bildeten, und die an Land am Körper klebte und juckte. Vitória machte ein paar
kräftige Züge und spürte, wie eine Zentnerlast von ihr abfiel. Es gab doch
nichts, womit man einen Kater besser auskurierte, als einen Sprung ins kalte
Wasser! Sie löste ihren Zopf und tauchte nun auch mit dem Kopf unter. Sie
genoss es, wie ihr Haar sich beim Auftauchen schwer und glatt auf ihren Rücken
legte.
Nach ein paar Minuten stieg Vitória aus dem
Wasser. Die Sonne brannte zu stark, und Vitória hatte aus schmerzhafter
Erfahrung mit Sonnenbränden an Nase und Schultern gelernt, dass sie sich um
diese Tageszeit nicht lange im Fluss aufhalten konnte. Sie rieb sich mit einem Handtuch
ab und wickelte es um ihren Körper erst wenn die Haare trockener wären, würde
sie sich anziehen. Dann breitete sie eine Decke auf dem Gras aus, setzte sich
darauf und untersuchte den Inhalt des Korbs. Sie kam um vor Hunger! Gestern
Abend hatte sie kaum etwas gegessen, und heute hatte sie beim Aufstehen
ebenfalls wenig Appetit verspürt. Umso heftiger überfiel sie jetzt ein Heißhunger.
Luiza hatte ihr Brot, kalten Braten, zwei Scheiben Paté, ein Stück Käse, Obst
und sogar ein Glas mit Kirschgrütze eingepackt, und Vitória machte sich darüber
her, als sei es ihr letztes Mahl. Danach überkam sie eine große Mattheit. Sie
legte sich mit angewinkelten Beinen auf die Decke, genoss das Spiel von Licht
und Schatten, das die Sonne durch die Baumwipfel auf ihr Gesicht zauberte, und
verlor den Blick in dem Blätterdach über ihrem Kopf, bis sie einnickte. Im
Halbschlaf träumte sie wirres Zeug, unter anderem, dass sie sich für heute
Abend mit León verabredet hatte.
Wenig später erwachte sie abrupt vom Stich einer
Wespe, die sie sich aus dem Gesicht zu wischen versucht hatte. Vitória sprang
auf, ließ das Handtuch fallen, das ihre Blöße bedeckte, und lief ins Wasser.
Als sie wieder auftauchte, sah sie sich um. Sie hatte vor Schreck jede Vorsicht
fahren lassen – wenn sie nun jemand beobachtet hatte? Aber das schien nicht der
Fall zu sein, die Landschaft lag still und friedlich da wie immer. Einzig das
Rauschen des Flusses und das Summen von Insekten war zu hören. Vitória
betastete die Stelle, an der sie gestochen worden war. Sie schwoll bereits an.
Ausgerechnet mitten ins Gesicht, zwei Fingerbreit unter das rechte Auge hatte
das Mistvieh sie gestochen! Und das, wo sie nachher ihren Eltern und den Übernachtungsgästen
gegenübertreten sollte und anschließend noch ein Rendezvous mit León hatte.
Halt, hatte sie das nicht nur geträumt? Vitória
war nicht in der Lage zu unterscheiden, ob sich ein echter Erinnerungsfetzen in
ihren abstrusen Traum gemischt hatte oder ob der Traum nur so realistisch
gewesen war. Und wenn sie nun wirklich eine Verabredung mit León hatte? In Kürze
würde sie schlimmer aussehen als Luiza damals mit ihrem wehen Zahn, den dann
der Viehdoktor hatte ziehen müssen, weil der Dentist nicht rechtzeitig kommen
konnte. Ihre Wange würde so dick sein, dass León alle Lust, sie anzusehen und
sie zu küssen, sofort vergehen würde.
Vitória zog sich an, packte ihre Sachen zusammen
und wanderte zurück. Trotz des schmerzenden Stichs fühlte sie sich erfrischt
und bereit, allen garstigen Anschuldigungen und vorwurfsvollen Blicken zu
trotzen. Vielleicht hatte die Wespe sie gerade zum richtigen Zeitpunkt
gestochen, die rot geschwollene Backe würde von allem anderen ablenken.
»Dieses Insekt hat ins Schwarze getroffen, würde
ich sagen«, foppte Pedro seine Schwester.
»Ja, und nicht nur das Tier ...«, sagte Dona
Alma mit biestigem Ton.
Joanas Eltern sahen betreten auf ihre Teller. Es
waren freundliche, ruhige Leute, und sie wollten keineswegs Zeugen eines
Familienstreits werden. Zwar sollten sie bald selber zur Familie gehören, doch
bis sich dieses Gefühl auch im Herzen einstellte, würde es sicher noch eine
Weile dauern.
Vitória sagte, nachdem sie ihre Begegnung mit
der Wespe in elterntauglicher Version geschildert hatte, nichts mehr. Sie
beobachtete die neue Verwandtschaft und glaubte zu erkennen, dass ihr Vater
Joanas Eltern mochte, während Dona Alma sie ihren niedrigeren Stand spüren ließ.
Joana und Pedro ignorierten die unterschwellige Spannung und turtelten
miteinander. Vitória beneidete sie darum. Warum konnte sie nicht auch so offen
mit ihrem Herzblatt hier sitzen und verliebte Blicke austauschen oder seine
Hand
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