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Analog 08

Analog 08

Titel: Analog 08 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Joachim Alpers , Hans Joachim (Hrsg.) Alpers
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sie von diesen Leuten, denen gegenüber sie offensichtlich eine gewisse Zuneigung verspürte, verraten worden.
    „Sind Sie bei Ihrer Arbeit in der Vergangenheit“, sagte ich, „nicht von den religiösen Zeremonien ausgeschlossen worden?“ Ich erzählte ihr von der xenologischen Untersuchung, die ich gelesen hatte.
    „Oh, doch. Sicher. Ich hatte aber bisher immer das Gefühl, daß das ein Teil der allgemeinen Geheimnistuerei ist, die sie bei religiösen Dingen immer zeigen. Die Wyntaraag sind in allen Aspekten ihres alltäglichen Lebens sehr offen und freundlich.“ Sie machte eine kurze, nachdenkliche Pause. „Meinen Sie damit, daß Punlaags Reaktion gestern abend … etwas mit ihrer Religion zu tun hatte?“
    Ich zuckte die Achseln. „Das ist doch möglich, oder?“
    „Die Ratshütte steht nicht auf heiligem Boden wie ihr Tempel. Ich bin natürlich davon ausgegangen, daß es bei der Versammlung um Stammespolitik ging. Punlaag ist ihr Oberster Sprecher – das entspricht ungefähr einem Stadtratsvorsitzenden oder einem Bürgermeister, also ein rein weltliches Amt. Die Priesterbruderschaft hat damit nichts zu tun.“
    „Aber sie nehmen an den Ratssitzungen teil?“
    Sie stellte ihr Glas ab, und etwas von dem Kir schwappte heraus. „Tatsächlich, das tun sie immer.“ Sie sah mich mit ihren herzzerreißend blauen Augen direkt an. „Obwohl die Frauen und die jungen Männer immer von den Ratssitzungen ausgeschlossen waren, haben mir die Wyntaraag immer gestattet, daran teilzunehmen, verstehen Sie? In der Vergangenheit ging es bei diesen Sitzungen um Dinge wie Planungen von Fischzügen, Streitereien mit den Nachbarstämmen oder um Zivilrechtsfälle von der einen oder anderen Art. Ich hatte natürlich angenommen, daß religiöse Fragen ausgeschlossen worden waren, aber vielleicht hatte ich damit nicht recht.“
    „Und wenn sich ein religiöses Problem erheben würde, dann wären Sie als Fremde auf diesem Planeten von der Teilnahme ausgeschlossen worden.“
    „Das ist richtig. Das ist das einzige Thema, bei dem die Wyntaraag durchweg keine Konzessionen machen.“
    Der Kellner kam und nahm unsere Bestellung entgegen. Wir blieben noch eine Zeitlang still, nachdem er wieder gegangen war. Schließlich fragte ich: „Wissen Sie irgend etwas über die Religion der Wyntaraag? Ich nehme an, es gibt eine Gottheit, die mit dem Meer zu tun hat?“
    Sie zögerte einen Moment, als sei sie im Besitz einer geheimen Information und wüßte nicht genau, ob sie sie mir anvertrauen könne. „Da Sie davon sprechen, ich habe tatsächlich ein wenig herausbekommen. Das wird die Grundlage meiner Arbeit für das IKS werden. Es bringt gewisse Vorteile mit sich, wenn man mit den Frauen im Stamm zusammenarbeitet. Die Männer sind zwar in religiösen Dingen sehr verschlossen, aber die Frauen – wahrscheinlich, weil sie von den Zeremonien im Tempel ausgeschlossen sind –, na ja, die erzählen schon einmal etwas. Ich bin überzeugt davon, daß die Frauen zum größten Teil, besonders aber die Alten, alle Geheimnisse kennen. Ihre Männer erzählen ihnen etwas, manchmal rutscht etwas heraus, und einen gewissen Teil nehmen sie im Verlauf ihres Lebens durch Osmose auf.
    Sie haben recht, es gibt eine Seegottheit – nur eine. Je nachdem, ob sie verärgert oder erfreut ist, kann sie in einer Vielfalt von Formen erscheinen – aber immer in der Form eines Meerestiers und gewöhnlich eines fischähnlichen Wesens. Ich bin nicht sicher, welchen Namen sie annimmt oder in welcher Form sie gewöhnlich erscheint.“ Sie griff nach unten und holte sich eine kleine Handtasche, die sie gegen ein Tischbein gelehnt hatte. „Ich habe ein junges Mädchen überreden können, mir das zu geben. Sie hat es auf dem Boden gefunden. Ich bin der Meinung, daß es ein religiöser Talisman ist, den einer der Männer verloren hat.“
    Sie holte einen kleinen Kupferring hervor, auf dem verschiedene bearbeitete Steine befestigt waren. Ich nahm ihn aus ihrer Hand und untersuchte ihn in der dunklen Beleuchtung des Lokals. Die winzigen Skulpturen waren grob ausgeführt und mit Streifen und Punkten in verschiedenen Farben bemalt. Da war ein walähnliches Tier mit einer Rückenflosse, ein zusammengerolltes aalähnliches Wesen mit einem gegabelten Schwanz und …
    Ich hielt mir das Bild näher an die Augen und ließ den Rest des Rings frei herunterbaumeln. Es war ein Grotuck, oder zumindest sah es so aus. Er war wie die anderen mit Farbtupfern versehen. Gelb auf dem Schwanz,

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