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Anastasija 01 - Auf fremdem Terrain

Anastasija 01 - Auf fremdem Terrain

Titel: Anastasija 01 - Auf fremdem Terrain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Marinina
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nicht, wieso der Alte sie plötzlich an den Haaren packte und sie ins Gesicht schlug. Sie hatte ihm doch nicht weh getan? Vielleicht würde er deswegen jetzt nicht zahlen?
    Mühsam wieder hochkommend und die hervorschießenden Tränen wegblinzelnd, preßte sich das Mädchen an den Alten, schlang die Arme um ihn.
    »Du Hure!« schrie er. »Kleine Nutte! Fotze!«
    Was danach kam, verstand sie nicht mehr. Der Alte brüllte sie an, knallte ihr die Faust ins Gesicht, schlug sie mit einer von irgendwoher aufgetauchten Peitsche. Das letzte, was die kleine Streunerin in ihrem liederlichen kurzen Leben sah, war ein hoch über sie erhobenes Messer und die riesigen schrecklichen Augen des Alten. . .
    * * *
    »Das Mädchen in den Keller, die Arbeit sauber zu Ende machen, mit Vertonung«, sagte Semjon zu dem Typen mit Brille, der den Spitznamen Chemiker trug. »Für morgen früh alles vorbereiten für die neuen Aufnahmen, um acht fangen wir an. Damir und ich müssen jetzt zurück. Für heute kommst du auch ohne mich klar.«
    »Na klar«, brummte der Chemiker mißmutig. »Die Drecksarbeit bleibt immer an mir hängen.«
    Semjon stellte sich dicht vor ihn hin und packte ihn fest an der Schulter.
    »So was will ich nicht noch einmal hören, Freundchen. Bei uns bekommt jeder das seine: Damir – fürs Talent, ich – fürs Risiko, und du – für die Drecksarbeit. Es hat sich nun mal so ergeben, daß du am wenigsten bekommst. Uns blüht die Höchststrafe, aber du wirst wohl am Leben bleiben. Wir sind die Organisatoren, du machst nur den Dreck weg. Soweit geschnallt?«
    »Schon gut«, heftig stieß der Chemiker Semjons Hände weg. »Du erzählst gern Märchen. Wenn dir und Damir die Höchststrafe blüht, was kriegt dann euer Makarow? Höher als Höchststrafe gibt es nicht.«
    Semjon warf dem Typen einen bösen Blick zu und ging schweigend hinaus. Mit dem müßte er noch ein ernstes Wörtchen reden, aber ein andermal. Jetzt war keine Zeit.
    * * *
    Sie ließen den Wagen vor dem Häuschen stehen und kontrollierten noch einmal alles: leer, Sarip war weg. Langsam und vorsichtig, darauf bedacht, nicht unter die Laternen zu kommen, liefen Semjon und Damir Ismailow in Richtung Hauptgebäude. Plötzlich packte Damir Semjon am Arm.
    »Da ist sie!«
    Vor dem Eingang sahen sie noch kurz eine grellblaue Jacke, dann war sie um die Ecke verschwunden.
    * * *
    Nastja wollte vor dem Schlafengehen noch Luft schnappen und überlegen, wie sie sich weiter verhalten sollte. Zum Beispiel, wenn Damir wieder bei ihr vorbeischaute. Freilich war es mehr als verführerisch, seinen Überredungskünsten nachzugeben, alles zu vergessen und sich Hals über Kopf in eine kurze Liebesaffäre zu stürzen. Und was hätte sie davon? Amüsement? Darauf konnte sie verzichten. Das, was ihr Vergnügen bereitete, konnte Damir ihr nicht geben. Bett? Langweilig. Er war bestimmt ein guter Liebhaber, wahrscheinlich sogar ein sehr guter, na und? Noch ein guter Liebhaber mehr in ihrem Leben. Mehr aber auch nicht. Nastja dachte sich, daß wenn sie mit irgend etwas kein Glück gehabt hatte im Leben, dann jedenfalls bestimmt nicht mit Männern. Viele waren es nicht, doch enttäuscht war sie nach keinem gewesen. Und überhaupt, Ljoscha reichte ihr vollkommen. Was könnte Damir ihr sonst noch bieten? Komplimente? Ljoscha kam nie eines über die Lippen, das stimmte schon, doch Nastja brauchte das gar nicht, sie war viel zu rational, um schönen Worten zu glauben und Wert darauf zu legen.
    Ihr wurde etwas unwohl zumute. Als beobachte sie jemand von hinten. Sie zog ein wenig die Schultern ein und kehrte zu ihren Gedanken zurück.
    Andererseits könnte Damir einen interessanten Gesprächspartner abgeben. Schade, daß sie den Film, den er ihr zeigen wollte, nicht zu Ende gesehen hatten. Es war ein Film über einen blinden alten Mann, der sich mit der Außenwelt mit Hilfe von Tönen verständigt. Sein Enkel beschreibt ihm verschiedene Gegenstände, Bilder, Dinge in der Natur, und der Alte sagt: »Ich verstehe nicht. Spiel sie mir vor.« Der Enkel lernt zuerst Klavierspielen, dann Geige, seine musikalische Ausdrucksweise wird immer ausgeprägter, bildhafter, und schließlich sagt der Alte: »Ich sehe es.« Was dann noch folgte, hatte Nastja nicht mehr gesehen, aber daß der Film meisterhaft gemacht war, davon hatte sie sich überzeugen können. Nicht nur die Regie ließ Talent erkennen, auch die Musik war ungewöhnlich und interessant, und die schauspielerische Leistung hervorragend. Wenn sich

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