Anastasija 01 - Auf fremdem Terrain
ich fragen?«
»Schau den Text an, da steht alles. Achte auf die Anmerkungen, am Rand ist die Zeit in Minuten angegeben. Hier, ich leg’ meine Uhr auf den Tisch, paß auf, daß die Zeiten stimmen.«
»Was soll denn das, so kompliziert!« Unwillig schüttelte Swetlana ihr schönes Köpfchen.
»Tu, was man dir sagt.« Wlads Tonfall wurde wieder böse, und sie schluckte. »Die Handlung läuft unter Musikbegleitung, kapiert? Also vorwärts.«
Sie probten ein paar Mal und landeten bei vierundzwanzig Minuten.
»Immer noch ein Stück Musik übrig«, bemerkte Wlad. »Ist die für den Abspann, oder was?«
»Wahrscheinlich.« Swetlana zuckte mit den Achseln. Sie wußte ja, was in den restlichen sechs Minuten passieren sollte, und machte sich keine großen Sorgen.
»Wer die Musik geschrieben hat, weißt du nicht? Die ist wahnsinnig gut, kannst du mir glauben. Ich kenn’ mich da aus.«
»Keine Ahnung. Was spielt das schon für eine Rolle? Von Musik kenn’ ich nur, was eben so läuft in den Kneipen. Stell sich das einer vor, Musik zu einem Kurzfilm!«
»Sag das nicht«, meinte Wlad nachdenklich. Er konnte in der Tat bei Musik nicht einfach unbeteiligt bleiben, er mußte zuhören, und unter Drogen war die Wahrnehmung noch intensiver. Das war keine simple Musik, und der, der sie geschrieben hatte, war kein einfacher Musiker, soviel konnte er beschwören. Allerdings beunruhigten Wlad die verbleibenden sechs Minuten, für die es irgendwie keine Handlung gab.
»Wann wollten sie dich abholen?« fragte er Swetlana.
»Um zwölf, haben sie gesagt. Und wenn sie bis Viertel nach nicht da sind, dann solle ich hier übernachten. Sie hätten irgendwelche Probleme wegen einer Reparatur oder wegen Benzin.«
»Und wie sollen wir das anstellen mit dem Übernachten?« fragte Wlad, und seine Augen funkelten mißtrauisch. »Es gibt nur ein Zimmer und nur ein Sofa.«
»Ach, mach dir mal nicht ins Hemd, ich freß dich schon nicht. Dann schlafe ich eben auf dem Boden, wenn du solche Angst hast.«
Gut, daß die mich vorgewarnt haben. Der fürchtet normale Frauen wie der Teufel das Weihwasser. Hat wahrscheinlich immer nur mit Liliputanerinnen gelebt, und da bin ich für ihn ein richtiger Gulliver. Ist ja ein Witz: Zum ersten Mal hat ein Mann Angst davor, mit mir eine Nacht zu verbringen. Wie schaffe ich das bloß morgen mit dem? Na ja, soll nicht mein Problem sein. Wird schon irgendwie laufen.
* * *
»Habt ihr Sarip?«
»Noch nicht. Da sind wir ja schön in was hineingeraten: Da rennt ein Verrückter durchs Sanatorium, ist hinter einer von der Kripo her, und wir können nicht mal zur Polizei gehen. Wenn die ihn schnappen, verpfeift er uns alle.«
»Was habt ihr für einen Vorschlag? Denk nach, Kotik, denk nach, die Uhr läuft. Wie sieht’s im Pavillon aus?«
»Die sind bald fertig. Semjon ist vor einer Stunde hingefahren. Wenn alles ohne Verzögerungen abgeht, sind er und Damir bald zurück. Wenn bloß die Kamenskaja solange auf dem Zimmer bleibt, dort kann Damir sie dann übernehmen. Der scheint was mit ihr zu haben.«
»Gefällt mir gar nicht. Vielleicht ist es genau andersherum, und sie hat was mit Damir? Auf die Idee bist du noch nicht gekommen?«
»Könnte zwar sein, sieht aber nicht danach aus. Nicht sie hat ihn sich ausgesucht, er ist ihr nachgelaufen.«
»Und wenn es doch nur so aussieht? Und der Schein trügt? Sie ist clever genug, um einen, auf den sie es abgesehen hat, hinter sich herlaufen zu lassen. Doch abgesehen davon, was machen wir mit Sarip?«
»Wir müssen abwarten. Wir haben mehrere freie Leute, ich könnte sie anfordern, damit sie beim Suchen helfen, aber nur Semjon, Damir und ich wissen, wie Sarip aussieht. Selbst Sie haben ihn noch nie gesehen.«
»Und wenn sie auf die Idee kommt, einen Nachtspaziergang durch den Park zu machen?«
»Das wäre sogar besser. Wenn Sarip ihr nachschleicht, haben wir ihn sofort. Wir sind doch immer in ihrer Nähe, allein lassen wir sie nicht weg. Hauptsache, sie merkt nichts.«
»Das ist am schwierigsten. Die hat ihre Augen überall, und ihre Ohren scheinen auch gut zu sein. Paß bloß auf, Kotik, du bist unsere einzige Hoffnung. Haben Semjon und Damir immer noch keine Ahnung, daß sie von der Kripo ist?«
»Sollten sie eigentlich nicht. Außer, natürlich, sie selbst hat es Damir verraten.«
»Gott behüte, Kotik. Gott behüte.«
* * *
Auch nachdem das Mädchen von Kopf bis Fuß gewaschen und in saubere Kleider gesteckt worden war, sah es immer noch nicht wie ein
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