Anastasija 01 - Auf fremdem Terrain
Unschuldsengel aus. Ihr Blick war verschlagen, und wenn sie den Mund aufmachte, zog es einem die Schuhe aus. Sie hatte ein reichliches Herumtreiberleben geführt, nachdem ihre dem Suff verfallenen Eltern sie vor einem Jahr ausgesetzt hatten. Während dieser Zeit hatte sie gelernt, sich selber zu ernähren, indem sie Zugreisende in den Männerklos am Bahnhof bediente, und zwar so geschickt, daß sie bisher noch kein einziges Mal von der Polizei aufgegriffen worden war. Sie blieb nie lange in ein und demselben Bahnhof, fuhr schwarz mit der Bahn von einer Stadt in die nächste.
In der STADT hatte sich ein guter Onkel gefunden, der ihr Essen versprach und Geld und ihr zusätzlich auch neue Kleider kaufen wollte, wenn sie seinem Freund zu Diensten sei, und zwar nicht in einem stinkenden Bahnhofsklo, sondern in einem schönen sauberen Zimmer. Aber war es nicht sowieso egal? Natürlich hatte sie gelogen, sie sei vierzehn, damit der Onkel nicht erschrak, daß sie noch ein Kind war, und alles rückgängig machte. In Wirklichkeit war sie nämlich vor kurzem erst zehn geworden. Sie sah, daß der Onkel ihr nicht glaubte. Aber egal. Hauptsache, er zahlte. Gestern hatte er sie in sein Auto gesetzt, sie zu irgendeinem öffentlichen Bad gefahren, ihr befohlen sich ordentlich zu waschen, und dann hatte er ihr noch erlaubt, in dem großen Becken zu schwimmen. Das war toll! Außerdem hatte er versprochen, ihr echte Lederhosen zu kaufen, einen roten Pulli, der bis zu den Knien ging, und eine schöne glänzende Haarspange. Und für die ›Ar-beit‹ sollte sie ein traumhaftes schwarzes knöchellanges Kleid anziehen, solche hatte sie schon mal in einem Film übers letzte Jahrhundert gesehen.
»Komm her«, rief ein gutaussehender großer Mann mit dunklen Augen und freundlichem Lächeln. »Wir beide spielen jetzt eine kleine Szene. Siehst du das Kruzifix an der Wand?«
Sie nickte und sah sich neugierig um. Im Zimmer stand ein Haufen Zeug herum, irgendwelche Lampen und Kabel, aber das kümmerte das Mädchen nicht. Wenn sie es auf dem Bahnhof konnte, zwischen Gepäck und Koffern und überquellenden Abfalleimern, warum dann nicht auch zwischen lauter Scheinwerfern und Kabeln?
»Hast du schon mal gesehen, wie man betet? Man faltet die Hände so, kniet sich hin, sieht zum Kruzifix auf, und sagt leise für sich irgendeinen Spruch auf. Hast du verstanden?«
»Ja.« Sie machte sofort alles, was ihr gesagt wurde.
»Kluges Mädchen. Du bist die geborene Schauspielerin«, lobte sie der Dunkeläugige. »Jetzt hör zu, wie es weitergeht. Ins Zimmer kommt ein älterer Mann, er ist dein Vater. Aber das weißt nur du, er nicht. Keiner hat es ihm gesagt. Er glaubt, du bist einfach ein hübsches Mädchen, er verliebt sich in dich und will dich heiraten. Du weißt doch, daß man nicht seine eigene Tochter heiraten darf?«
»Natürlich weiß ich das. Die Kinder werden sonst Mißgeburten.«
»Stimmt genau. Er wird dich darum bitten, aber du weigerst dich.«
»Aber vielleicht sollte ich ihm sagen, daß er mein Papa ist? Dann checkt er es gleich«, war der praktische Vorschlag des Mädchens.
»Nein, genau das ist es ja. Das soll so ein Spiel sein. Du weigerst dich, obwohl du ihn liebst, du willst es ihm doch schön machen. Auch wenn heiraten nicht geht, alles andere geht schon, oder nicht?«
»Na klar«, erklärte die Streunerin bestimmt, die sowieso eine ziemlich unklare Vorstellung davon hatte, was man durfte und was nicht. »Ich bemühe mich, es ihm zu konpem . . . konmen . . . zu kompensieren«, mit Mühe brachte sie das erst kürzlich aufgeschnappte Wort heraus, »damit er nicht traurig ist, daß wir nicht heiraten können.«
»Sehr gut!« Der Mann war sichtlich zufrieden. »So ein schlaues Mädchen wie dich findet man selten. Laß uns anfangen.«
Das Mädchen machte alles so, wie man es ihr gesagt hatte. Nachdem sie sich hingekniet und die Hände vor ihrer Brust gefaltet hatte, schloß sie die Augen und sang leise für sich das Liedchen vom ›Kätzchen und dem Spätzchen‹. Dann tauchte der Alte auf, der so tat, als sei er ihr Vater, und quatschte irgendwas von Liebe. Sie tat so, als ob sie sich eine Weile zierte, dann leckte sie sich lüstern die Lippen, ging zu dem Alten und begann, ihm die Hose aufzuknöpfen. Der Alte war überhaupt nicht widerlich, viel besser als die besoffenen groben Kerle auf dem Bahnhof, die immer aus dem Mund stanken, nach Alkohol und verfaulten Zähnen.
Sie machte es wie immer und begriff im ersten Moment gar
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