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Anastasija 02 - Der Rest war Schweigen

Titel: Anastasija 02 - Der Rest war Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Marinina
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einen zweiten Punkt verdient.
    »Beginnen wir mit dem Wichtigsten. Finden wir zuerst heraus, welche Kostüme Ihnen stehen, dann überprüfen wir, welche von ihnen Ihre anderen Bedingungen erfüllen.«
    »Das ganze Problem besteht darin, daß mir Kostüme grundsätzlich nicht stehen, darum habe ich keine Ahnung, was ich überhaupt will. Ich bin nur einfach gezwungen, im Büro ein Kostüm zu tragen, obwohl ich andere Kleidung bevorzuge.«
    Dascha trat ein paar Schritte zurück und begann, die Erscheinung ihrer Kundin aufmerksam zu studieren.
    »Bitte drehen Sie sich um. Ja, gut so. Öffnen Sie bitte Ihre Jacke, am besten Sie ziehen sie ganz aus. Oberweite vierundneunzig bis sechsundneunzig, Taille dreiundsechzig, Hüftumfang achtundachtzig, Größe etwa 1,78. Kein Wunder, daß Ihnen nichts paßt.«
    »Warum?« fragte Nastja verblüfft. Sie hatte sich über diese Dinge noch nie Gedanken gemacht, weil sie sich praktisch nie etwas zum Anziehen kaufte. Sie besaß eine durchaus annehmbare Garderobe, weil ihre Mutter, die ständig ins Ausland reiste und sich jeweils lange Zeit dort aufhielt, ihr regelmäßig teure, modische Klamotten schickte, die Nastja allerdings so gut wie nie trug, weil sie Jeans, T-Shirts, Pullover und bequeme Turnschuhe bevorzugte.
    »Aus zwei Gründen. Kleidungsstücke, die Ihnen unten passen, sind über der Brust zu eng, und solche, die oben passen, rutschen Ihnen über die Hüften. Im Grunde entspricht Ihre Figur der Kleidergröße 40. Aber Sie sind für Ihre Größe zu dünn. Haben Sie gesundheitliche Probleme?«
    »Nein, ich ernähre mich nur falsch und habe außerdem einen nervenaufreibenden Beruf«, erklärte Nastja, die drauf und dran war, sich zu Vertraulichkeiten gegenüber diesem fremden, verdächtigen Mädchen hinreißen zu lassen. Offenbar hatte dieses Geschöpf die Gabe, Menschen für sich einzunehmen.
    »Das zweite Problem besteht darin, daß Ihrer äußeren Erscheinung die Individualität fehlt. Aus irgendeinem Grund verstecken Sie Ihre Individualität oder verleihen ihr keinen Ausdruck. Deshalb steht Ihnen nichts.«
    »Das verstehe ich nicht«, sagte Nastja stirnrunzelnd. In Wirklichkeit hatte sie bestens verstanden und mußte zugeben, daß das Mädchen ins Schwarze getroffen hatte. Sie war klug, besaß eine rasche Auffassungsgabe und konnte sich sehr gut ausdrücken, präzise und diskret. Sie verfügte über einen erfahrenen, professionellen Blick, natürlichen Charme, über die Fähigkeit, Vertrauen im anderen zu erwecken und ihn zum Sprechen zu bringen. Nicht schlecht, Dascha Sundijewa, dachte Nastja. Ich gebe dir sechs Punkte. Kein Wunder, daß mein Brüderchen sich Hals über Kopf in dich verliebt hat. Aber wenn sein Verdacht sich bestätigen sollte, bist du gerade aufgrund deiner Qualitäten eine verdammt gefährliche Kriminelle.
    »Ich werde versuchen, es Ihnen zu erklären«, fuhr die Verkäuferin fort. »Was meinen wir, wenn wir sagen, daß uns ein Kleid steht oder nicht steht? Zunächst müssen die Farben der Kleidung mit der Farbe der Augen und der Haare harmonieren und sie vorteilhaft betonen. Ferner müssen Schnitt und Stil der Kleidung zum äußeren Bild der Frau passen. Zu ihrer Frisur, ihrem Make-up, ihrem Schmuck, ihrer Körperhaltung, zu ihrem Gang, zu ihrer Gestik und Mimik, sogar zu ihrer Sprache. Verstehen Sie jetzt?«
    Nastja nickte.
    »Fahren Sie bitte fort. Das ist sehr interessant.«
    »Geben Sie zu, eine Frau in ausgewaschenen Jeans und einem karierten Hemd würde befremdlich aussehen mit einem aufwendigen Make-up, einer festlichen Frisur, behängt mit Brillanten. Ebenso befremdlich würden an einer Frau, die ein teures Kostüm trägt, eine schlechte Frisur und billiger Schmuck wirken. Oder stellen Sie sich eine Frau in einem Abendkleid vor, die plötzlich mit rauher Stimme zu sprechen und zu fluchen beginnt wie ein Pferdeknecht. Das Bild muß einheitlich sein, verstehen Sie?«
    »Ja, natürlich.«
    »Um Ihnen ein passendes Kostüm anbieten zu können, muß ich erst Ihren Typ bestimmen. Aber da ist nichts bei Ihnen.«
    »Wollen Sie damit sagen, daß ich gar nichts bin?«
    »Sie machen nichts aus sich«, widersprach Dascha heftig. »Wenn man so aussieht wie Sie, hat man alle Möglichkeiten. Aber aus irgendeinem Grund wollen Sie nichts aus sich machen, oder Sie können es nicht. Deshalb lassen Sie uns erst entscheiden, wer Sie sein wollen, dann sehen wir weiter.«
    Sieben Punkte, dachte Nastja insgeheim. Als erster hatte ihr ihr Stiefvater vor vielen Jahren die

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