Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Anastasija 02 - Der Rest war Schweigen

Titel: Anastasija 02 - Der Rest war Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Marinina
Vom Netzwerk:
schweigend genickt und war in seinen eigenen Angelegenheiten davongestürmt.
    Als die Zeiger der Uhr auf zwei Minuten vor sechs standen, begann Nastja, sich anzuziehen. Sie konnte nicht länger warten, da das Geschäft um acht Uhr schloß und sie davon ausging, daß sie mindestens eine Stunde Zeit brauchen würde, um ihre Aufgabe zu erfüllen. Als sie bereits die Tür ihres Büros abschloß, erblickte sie am anderen Ende des Korridors Lesnikow, der im Schlenderschritt auf sie zukam.
    »Wo willst du denn hin ohne mich? Hast du deine Pläne etwa geändert?« erkundigte er sich seelenruhig.
    »Nein, ich habe einfach die Hoffnung aufgegeben, daß du noch auftauchst.«
    »Aber ich habe es dir doch versprochen«, antwortete Lesnikow ungerührt. »Wäre mir etwas dazwischengekommen, hätte ich dich auf jeden Fall angerufen.«
    Über Igor Lesnikows Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit kursierten in der Kripo Legenden, die sich gelegentlich in Anekdoten verwandelten. Einen solideren und ernsthafteren Menschen hatte die Petrowka 38 wahrscheinlich seit ihrem Bestehen nicht gesehen. Außerdem war er ein sehr gut aussehender Mann, mindestens die Hälfte der weiblichen Mitarbeiter schickte ihm heimliche Seufzer nach. Doch Lesnikow war ein mustergültiger, glücklicher Familienvater, er liebte seine Frau und seine Kinder, noch nie hatte eine Mitarbeiterin der Petrowka ein Zeichen seiner besonderen Aufmerksamkeit für sich verbuchen können.
    Sie näherten sich dem »Orion«.
    »Stell dein Auto bitte so ab«, sagte Nastja, »daß man es aus dem Inneren des Geschäftes sehen kann. Ich gehe hinein, komme nach etwa zehn Minuten wieder heraus, spreche kurz mit dir, und dann kannst du fahren.«
    »Ist gut«, sagte Igor, während er den Wagen an entsprechender Stelle parkte.
    In letzter Zeit habe ich ständig mit dem Reichtum zu tun, dachte Nastja amüsiert. Zuerst Ljoscha mit seinem Sechshundertdollarkleid, dann mein Bruder der Millionär und jetzt dieses Geschäft, wo die Preise sogar in Valuta astronomisch sind.
    Nastja sah Dascha Sundijewa auf den ersten Blick. In einem so teuren Geschäft waren natürlich nur wenige Kunden, und in der Abteilung für Damenkonfektion war überhaupt niemand.
    Ihr Halbbruder hatte nicht übertrieben, Dascha war wirklich eine Schönheit, wenn auch eine mit kleinen Fehlern, wie Nastja auf den zweiten Blick bemerkte. Ihre Gesichtszüge waren nicht ganz stimmig, sie hatte keine sehr gute Haut, und die Beine hätten etwas länger sein können. Dafür hatte sie prachtvolles honigfarbenes Haar, das in dichten Wellen auf die Schultern herabfiel, leuchtend blaue Augen und zauberhafte Grübchen auf den mit zartem Rouge geschminkten Wangen. Doch vor allem fiel ihr Gesicht durch seine Offenheit auf, durch einen außerordentlich liebenswürdigen, gewinnenden Ausdruck. Wahrscheinlich hätte man dieses Gesicht auch dann als schön empfunden, wenn es eigentlich häßlich gewesen wäre.
    Nastja blieb vor einem Konfektionsständer stehen und betrachtete die verschiedenen Kleidungsstücke. Sofort war die Verkäuferin neben ihr.
    »Guten Abend. Kann ich Ihnen helfen?« fragte sie mit einem eingeübten professionellen Lächeln.
    »Vielleicht«, antwortete Nastja hintersinnig, »ich habe ein ziemlich schwieriges Problem.«
    Sie erwartete, daß sie Dascha mit diesen Worten die Laune verderben würde, doch sie irrte sich. Das Mädchen reagierte mit lebhaftem Interesse.
    »Ich hoffe, daß wir dieses Problem gemeinsam lösen werden, wie schwierig es auch sein mag.«
    Ein Punkt für dich, dachte Nastja, du liebst deine Arbeit. Gleich werden wir sehen, wie intelligent du das machst, was du liebst.
    »Ich brauche ein Kostüm fürs Büro. Aber es muß eine ganze Menge Bedingungen erfüllen: Erstens darf der Rock nicht zu kurz sein, zweitens muß das Kostüm einen bequemen Schnitt haben, drittens möchte ich Schuhe ohne Absätze dazu tragen können, viertens darf es nicht zu bunt und auffallend sein, fünftens muß es bügelfrei sein und darf nicht knittern. Und sechstens muß es mir natürlich stehen. Das ist wahrscheinlich der schwierigste Punkt. Was meinen Sie, werden wir eine Lösung finden?«
    Dascha lächelte fröhlich.
    »Je schwieriger eine Aufgabe, desto interessanter ist es, sie zu lösen. Finden Sie nicht auch?«
    »Nun ja . . . im Prinzip schon.« Nastja war irritiert. Sie hatte aus dem Mund des Mädchens ihre eigenen Lieblingsworte gehört. Eine bemerkenswerte Person, diese Dascha Sundijewa, dachte sie. Hat sich mühelos

Weitere Kostenlose Bücher