Anastasija 05 - Die Stunde des Henkers
schützen, da sie nie zu den Verdächtigen gehört haben und deshalb nicht in unseren Akten auftauchen. Und der Henker kann, da er ganz offensichtlich nicht zu unseren Mitarbeitern gehört, jeder x-Beliebige sein. Aber zumindest wissen wir jetzt, wo wir ihn suchen müssen. Wir wissen es nicht sicher, aber mit hoher Wahrscheinlichkeit.
FÜNFZEHNTES KAPITEL
Anfang März herrschte in der Umgebung von Moskau unerwartet schönes Wetter. Der Frost hatte bereits nachgelassen, nachts fiel die Temperatur nicht unter minus acht Grad, und am Tag stieg sie bis auf null. Der Schnee, der sich auf den Moskauer Straßen in braunen Matsch verwandelt hatte, erfreute das Auge auf dem Land zwar nicht unbedingt mit jungfräulichem, aber immerhin mit unverschmutztem Weiß.
Heute stand Tschinzow das nächste Treffen mit seinen neuen Bossen bevor. An dem Tag, als Serjosha plötzlich die Verwandte von Pawel Sauljak auf der Straße erblickt hatte und Tschinzow deshalb mit dem Taxi zum Ort der Verabredung fahren musste, hatten nur ganz allgemeine Vorgespräche über die Möglichkeiten der Zusammenarbeit stattgefunden. Tschinzows Dienste wurden nun nicht mehr dafür gebraucht, gefährliche Rivalen aus dem Weg zu räumen, sondern dafür, bestimmte politische Gruppierungen und die sie unterstützenden Kräfte für sich zu gewinnen.
Die Kunde davon, dass Ratnikows vernichtendes Interview von Tschinzow eingefädelt worden war, hatte dessen neue Bosse erreicht, und Grigorij Valentinowitsch war klar, dass man ihn für einen ziemlich mächtigen und gewieften Mann hielt, von dem man viel erwarten konnte. Aber was konnte er tatsächlich anbieten? Leider gar nichts. Jedenfalls nichts, was nicht auch andere anbieten konnten, die Erfahrung in solchen und ähnlichen Angelegenheiten hatten.
Am Anfang hatten Serjosha und Kolja Sauljaks Verwandte nur bis zu ihrem Haus verfolgen können. Als sie am nächsten Tag ihre Wohnung wieder verließ, verloren sie ihre Spur in der Metro. Diese Idioten! Später hatten sie sie natürlich wieder aufgespürt und von ihrem Haus bis zur Petrowka verfolgt, und am selben Tag traf sie sich prompt mit Pawel. Aber Sauljak, dieser Fuchs, hatte die beiden bemerkt und war geflohen. Die Nacht verbrachte er bei Anastasija oder wie immer sie in Wirklichkeit hieß, und am nächsten Morgen war er dann endgültig entkommen und auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Serjosha und Kolja folgten der Frau fast zwei Wochen auf Schritt und Tritt, aber keiner ihrer Wege hatte in dieser Zeit zu Sauljak geführt. Inzwischen war Tschinzow klar, dass Sauljak untergetaucht war und sich an einem Ort versteckt hielt, wo ihn niemand finden konnte. Auch die Hoffnung auf diese Frau hatte er inzwischen begraben. Ganz offensichtlich arbeitete sie in der Petrowka. Also konnte man sie nicht anwerben, selbst wenn sie die gleichen Fähigkeiten wie Sauljak besaß.
Was also konnte Tschinzow seinen neuen Auftraggebern anbieten, da er weder auf Pawel Zugriff hatte noch auf diese Frau? Im Grunde gar nichts, jedenfalls nichts Außergewöhnliches, das war die traurige Wahrheit. Verdammt und zugenäht, wie stand er jetzt da!
Der Wagen bog von der Chaussee in die Dorfstraße ab, bald darauf hielt er vor einem hohen Zaun. Serjosha, der am Steuer saß, gab ein kurzes Zeichen mit der Hupe, und gleich darauf trat ein bulliger Mann in einer gefleckten Uniform durch das Tor. Er nahm das Papier entgegen, das Tschinzow ihm reichte und ihn als Mitglied der Duma auswies, dann entfernte er sich, unterhielt sich kurz mit jemandem über Sprechfunk, und gleich darauf öffnete sich das breite Tor und ließ den Wagen passieren.
Vor dem Haus erblickte Grigorij Valentinowitsch einen weiteren Leibwächter, der genauso durchtrainiert aussah und dieselbe Uniform trug. Nach den parkenden Wagen vor dem Haus zu urteilen, waren sie nicht als Erste gekommen. Der zweite Leibwächter überprüfte ebenfalls Tschinzows Papiere, erst dann durfte er das Haus betreten. Er legte hastig ab, mit einem unangenehmen Ziehen in der Magengegend. Beim ersten Mal hatte er seinem Boss ganz anders gegenübertreten können, da Serjosha damals gerade die Frau aufgespürt hatte, die ihm den Weg zu Sauljak weisen oder selbst für ihn hätte tätig werden können. Was aber hatte er heute vorzuweisen? Welche Zusagen konnte er geben? Welche Aufträge konnte er übernehmen? Am liebsten hätte er jetzt den Rückzug angetreten, aber man hatte ihm gutes Geld versprochen, und das wollte er sich nicht durch die Lappen gehen
Weitere Kostenlose Bücher