Anastasija 07 - Mit tödlichen Folgen
welche ausdenken, sonst würden diese Schrecken real und lebendig und richteten den Menschen zugrunde. Verstehen Sie, daran glaubt er wirklich. Er hat ja die letzten Jahre kaum mit Alina gesprochen.«
»Er hat nicht mit ihr gesprochen, kommt aber gleich angerannt wegen der Erbschaft«, bemerkte Stassow. »Besaß Alina denn irgendwelche Wertsachen? Ersparnisse? Teuren Schmuck?«
»Nichts Besonderes.« Smulow zuckte die Achseln. »Bis auf die Brillanten ihrer Mutter. Aber die sind ja verschwunden, das muss Waldis doch wissen. Ich vermute, da hat Imant die Hand im Spiel, der ältere Bruder. Er war ständig unzufrieden, weil er als Ärmster in der Familie dastand.«
»Ach ja?«, hakte Stassow sofort ein. »Wie das?«
»Den Schmuck seiner ersten Frau hatte Waldis von Anfang an Alina zugedacht. Alois, der Mittlere, hat vorteilhaft geheiratet und ein eigenes Unternehmen gegründet. Imant dagegen besitzt nichts als seine Zehnklassenbildung und seinen Beruf als Dreher. Ein Hochschulstudium hat von den dreien nur Alina. Aber Alois hat sich durchgeboxt, er hat überhaupt Ehrgeiz und Energie, Imant dagegen, der ist irgendwie . . . Ein bisschen beschränkt, unflexibel vielleicht. Voriges Jahr hat er für seine gesamten Ersparnisse MMM-Aktien gekauft, als sie noch tausendvierhundert Rubel kosteten. Der Preis der Aktien stieg rasch, wie Sie sich bestimmt erinnern, zweimal die Woche wurden die Kurse bekannt gegeben, und er sah sich zweimal die Woche reicher und reicher werden. Imant ist sparsam, er hatte Geld für den Notfall zurückgelegt, eine Million Rubel, und für diese Million hat er tausend Aktien gekauft, sich sogar noch vierhunderttausend Rubel von Alina geliehen, in meinem Beisein. Als der Stückpreis der Aktien bei hunderttausend lag, fühlte er sich schon als reicher Mann, machte Pläne, wollte ein eigenes Unternehmen gründen und so weiter. Und dann, als der Preis auf hundertfünfundzwanzigtausend gestiegen war, brach auf einmal alles zusammen. Verstehen Sie? Gestern besaß er noch hundertfünfundzwanzig Millionen, und heute – null. Er verlor fast den Verstand, der Arme. Aber vielleicht ja nicht nur fast«, setzte Smulow nachdenklich hinzu. »Fremder Wohlstand ließ ihm keine Ruhe. Alina hat erzählt, er habe mehrfach von ihr verlangt, den Schmuck der Mutter zu teilen. Eigentlich ganz verständlich. Warum hatte Alina alles bekommen und er nichts? Weil ihr Vater das so entschieden hatte? Und warum? Wieso war Alina besser als er, Imant?«
»Sie sagen also, Imant hat Anspruch erhoben auf den Schmuck der Mutter?«
»Ja. Davon hat Alina häufig gesprochen.«
»Sehr interessant. Sie haben doch nichts dagegen, wenn ich Jura Viktorowitsch mitteile, was Sie mir eben erzählt haben?«
»Aber nein, wenn es hilfreich ist . . .«
Korotkow
Die Familie Wasnis lebte seit über dreißig Jahren in diesem Haus. Zu Anfang, nachdem Sonja und Waldis geheiratet hatten, lebte das junge Paar mit Sonjas Eltern zusammen, die für ihre geliebte Tochter und deren Mann sofort in eine Wohnungsbaugenossenschaft eintraten. Imant, der erste Sohn, wurde geboren, als Sonja und Waldis noch bei den Eltern lebten, doch Alois, der zweite, wurde von der Entbindungsstation bereits in die neue Wohnung gebracht, eine große Vierzimmerwohnung. Sonjas Eltern waren wohlhabend und ihrer Tochter gegenüber nicht geizig.
Einst war dieses Haus vermutlich Gegenstand des Neids vieler Wohnungssuchender Moskauer gewesen: Die Wohnungen hatten einen hervorragenden Grundriss (nach damaligen Standards), Loggien, große quadratische Dielen und Einbauschränke, dank derer man die Räume nicht mit plumpen dreitürigen Kleiderschränken vollstellen musste. Noch besser als dieses Genossenschaftshaus waren nur die Häuser des ZK und des Ministerrats. Doch das alles war lange her, vom einstigen Glanz war kaum etwas übrig. Das Haus war offenkundig nie saniert worden und wirkte ein wenig heruntergekommen. Korotkow allerdings, der mit Frau, Sohn und gelähmter Schwiegermutter in einer winzigen Zweizimmerwohnung lebte und nicht die geringste Aussicht auf eine Verbesserung seiner Wohnverhältnisse hatte, wäre überglücklich gewesen, in einem solchen Haus zu leben.
Eine stattliche, jugendlich wirkende Frau mit nichts sagendem Gesicht und straffer Figur öffnete Korotkow die Tür. Die Stiefmutter, schloss Korotkow. Umso besser.
»Kommen Sie herein«, sagte sie mit einem starken Akzent, als lebte sie nicht seit fast zwanzig Jahren in Moskau. »Sie hatten angerufen, ja? Wegen
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