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Anastasija 08 - Im Antlitz des Todes

Anastasija 08 - Im Antlitz des Todes

Titel: Anastasija 08 - Im Antlitz des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Marinina
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gesehen«, brummte der Untersuchungsführer. »Man könnte meschugge werden mit euren Leichen.«
    Er fuhr scharf an und verschwand hinter der nächsten Kurve.
    * * *
    Strelnikow hatte einen sehr tiefen Schlaf, normalerweise hörte er nur das Telefon oder den Wecker. Auf andere Geräusche reagierte er in der Regel nicht. Doch in dieser Nacht, der Nacht nach Milas Begräbnis, erwachte er ganz plötzlich und wusste sogar, was ihn geweckt hatte. Er hatte ein Geräusch gehört . . . Doch nach so einem Tag war es nicht verwunderlich, wenn einem die Nerven einen Streich spielten.
    Er drehte sich im Bett um und streckte seine Hand nach der Uhr mit den Leuchtziffern aus. Es war Viertel nach drei. Wladimir Alexejewitsch wollte wieder unter die Decke kriechen und sich auf die andere Seite drehen, aber plötzlich war das Geräusch wieder da, und er begriff, dass es Schritte waren.
    Mila!, hätte er fast aufgeschrien. In diesem Moment war Strelnikow zu glauben bereit, dass die Seelen der Verstorbenen an ihre irdischen Wohnstätten zurückkehrten, zu den geliebten Menschen. Der Schrei blieb ihm im Hals stecken und geriet zu einem undeutlichen Röcheln. Wieder ertönten die Schritte, sie näherten sich der Tür, hinter der Strelnikow schlief. Ihm wurde unheimlich. Wer war das? Ein Einbrecher? Unsinn, Einbrecher kamen in Abwesenheit der Wohnungsbesitzer. Obwohl dieser vielleicht gut informiert war und es gerade deshalb, heute riskierte. Nach einem Begräbnis fand ein Leichenschmaus statt, die Betroffenen tranken bei dieser Gelegenheit gewöhnlich viel und schliefen danach tief und fest.
    Strelnikow bedauerte, dass er nicht die Angewohnheit hatte, nachts mit dem Revolver unter dem Kissen zu schlafen. Er besaß eine Waffe und einen Waffenschein, aber der Revolver lag in der Schreibtischschublade. Hätte nachts jemand an der Wohnungstür geläutet, wäre Strelnikow natürlich bewaffnet zur Tür gegangen. Aber aus irgendeinem Grund hatte er nie daran gedacht, dass jemand gewaltsam in seine Wohnung eindringen könnte.
    Strelnikow richtete sich auf und wollte bereits seine Füße auf den Boden setzen, um auf Zehenspitzen zu seinem Schreibtisch zu schleichen und den Revolver an sich zu nehmen, doch da ging die Tür auf, und auf der Schwelle erschien eine undeutliche Gestalt. So sehr Strelnikow seine Augen auch anstrengte, er konnte das Gesicht nicht erkennen, die Angst verschleierte ihm den Blick.
    »Du schläfst also nicht«, sagte das Gespenst mit raunender Stimme. »Das ist gut. Also plagt dich dein Gewissen. Die Seelen der Unschuldigen, die du vernichtet hast, schweben über dir und lassen dir keine Ruhe.«
    »Wer bist du?«, presste Strelnikow mühsam hervor.
    Er streckte seine Hand nach dem Lichtschalter aus, um den Wandleuchter über seinem Kopf anzuknipsen, aber er hörte nur das leere Klicken des Schalters. Das Licht ging nicht an.
    »Gib dir keine Mühe, du Sünder«, raunte die Stimme erneut, »da, wo ich bin, ist kein Licht. Du möchtest mein Gesicht sehen? Willst du auch die Gesichter derer sehen, die du zerstört und vernichtet hast? Eine schreckliche Sünde liegt auf dir, Wladimir, du wirst niemals Vergebung finden. Bis an dein Lebensende wirst du das Kreuz deiner Schuld an der Ermordung der unschuldigen Gottesdienerin Ljudmila tragen.«
    Strelnikow gelang es endlich, sich aus seiner Erstarrung zu lösen. Er sprang vom Bett auf und stürzte sich mit einem Satz auf die dunkle, gesichtslose Gestalt. Er wollte seinem nächtlichen Besucher an die Kehle gehen, doch ein mächtiger Schlag stieß ihn zurück. Der Gast war kein Gespenst, ganz im Gegenteil. Er war ein ganzer Berg aus eisernen, sehr wirklichen und spürbaren Muskeln.
    Die Tür fiel ins Schloss. In der Wohnung war es wieder still.

Fünftes Kapitel
    Tatjana stand vor dem Spiegel. Vor dem Auftragen des Make-ups betrachtete sie mit kritischem Blick ihr Spiegelbild. Nun ja, überflüssige Kilos ließen sich nicht wegretuschieren, wenn sie so zahlreich vorhanden waren. Sie war von Kindheit an ein Pummelchen gewesen, deshalb kannte sie das Entsetzen nicht, die Trostlosigkeit und Verzweiflung, die manchmal Frauen überkam, die sich noch gut an ihre einst schlanke, grazile Figur erinnerten. Tatjana war nie schlank und grazil gewesen, und fast ihr ganzes Leben lang hatte sie sich darum bemüht, ihre übermäßige Fülle so zu kaschieren, dass sie nicht zu sehr ins Auge fiel und nicht hässlich erschien. In dieser Kunst hatte Tatjana Obraszowa eine wahre Meisterschaft erlangt,

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