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Anastasija 08 - Im Antlitz des Todes

Anastasija 08 - Im Antlitz des Todes

Titel: Anastasija 08 - Im Antlitz des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Marinina
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wovon auch ganz eindeutig die Tatsache zeugte, dass es ihr nie an Verehrern fehlte. Das erste und wichtigste Gebot lautete: Zeige das Beste von dir, um die Aufmerksamkeit von Bauch und Hüften abzulenken. Das Beste an Tatjana waren ihr Haar, ihre Haut, ihre Stimme und ihre unwiderstehliche Weiblichkeit, die auf Männer geradezu hypnotisch wirkte. Trotz ihrer höchst anstrengenden Arbeit als Untersuchungsführerin und ihrer nebenberuflichen Tätigkeit als Krimiautorin gelang es Tatjana, sich regelmäßig die Zeit für einen Besuch beim Friseur und im Kosmetiksalon zu nehmen.
    Aber die höchste Kunst bestand natürlich in der richtigen Wahl der Garderobe. Nichts Helles, keine Rüschen, keine Blümchen, keine horizontalen Streifen und ähnlich unvorteilhaftes Design. Im Büro trug Tatjana strenge Kostüme mit hüftlangen Jacken und gerade geschnittenen Röcken, die das Knie bedeckten. In der Freizeit enge Hosen und lange, weite Pullover. Trotz ihrer Fülle hatte Tatjana schmale Fesseln, und wenn die fülligen Hüften und Schenkel unter dem langen Pullover verschwanden, erzeugte das die Illusion durchaus schlanker Beine.
    Um Wjatscheslaw Tomtschak zu treffen, musste Tatjana aufs Land fahren. Sie hatte herausgefunden, dass Tomtschak sich zurzeit auf seiner Datscha aufhielt, und beschlossen, sich den Weg zu Strelnikow über dessen engste Freunde zu bahnen. Auch eine entsprechende Legende hatte sie parat: Sie, die Schriftstellerin, hätte erfahren, dass man bei der Ermordeten eines ihrer Bücher in der Handtasche gefunden hatte, das hätte sie als Autorin sehr berührt . . . und so weiter. Sie hätte sich nicht entschließen können, sich direkt an Herrn Strelnikow, den Lebensgefährten der Ermordeten, zu wenden, da dieser nach dem schweren Schlag, den er erlitten hatte, sicher nicht zu einem Gespräch aufgelegt sei. Woher sie von dem Buch wusste? Aus der Zeitung natürlich, woher denn sonst. Für alle Fälle hatte Tatjana die Zeitung mit der entsprechenden Meldung aufgehoben. Man hatte rechtzeitig dafür gesorgt, dass diese Meldung erschienen war.
    Sie musste sich so zurechtmachen, dass Tomtschak ihr glaubte und keinen Verdacht schöpfte. Jeans, Pullover, offenes Haar, um möglichst leger zu wirken und den Anschein von Boheme zu erzeugen, wie es sich für eine Schriftstellerin gehörte. Die Augen nicht zu stark schminken, kein Lidstrich, nur die Wimpern kräftig tuschen, um die dunkelgrauen Augen hervorzuheben. Was noch? Der Schmuck natürlich. Davon in diesem Fall lieber etwas mehr und ein bisschen geschmacklos. Ein pummeliges Dummchen, das kitschige Frauenromane schrieb. Und eines ihrer Bücher musste sie einstecken, um es Tomtschak mit ihrer Widmung zu schenken. Das verlangte die Höflichkeit, und gleichzeitig wurde so der Beweis erbracht, dass sie wirklich Schriftstellerin war und nicht irgendeine Möchtegernautorin. Welches Buch sollte sie auswählen?
    Tatjana nahm einige ihrer Bücher aus dem Regal und betrachtete prüfend die Einbände. Dieses hier ging nicht, hier befand sich neben dem Foto eine Notiz über die Autorin, aus der hervorging, dass Tatjana Tomilina in ihrem Hauptberuf Untersuchungsführerin war und den Stoff für ihre Romane aus ihrer täglichen Arbeit bezog. Das entfiel. Aber dieses hier passte, hier wurde ihr Beruf als Untersuchungsführerin nicht erwähnt. Auch das hier wäre geeignet gewesen, in diesem Buch gab es überhaupt keine Angaben zur Person, aber es fehlte ein Foto. Und da Tatjana Tomilina laut Pass Obraszowa hieß, hätte sie ohne Foto nicht beweisen können, dass sie tatsächlich die war, als die sie sich ausgab.
    So, nun war sie fertig. Angezogen, frisiert, geschminkt, das passende Buch ausgewählt. Sollte sie vielleicht noch das Diktaphon mitnehmen? Nein, lieber nicht, das konnte Tomtschak einschüchtern. Ein Diktaphon – das roch bereits nach Journalismus, nach Zeitung und Rundfunk. Es würde ihn daran hindern, die Wahrheit zu sagen. Lieber auf die alte Art, mit Notizblock und Stift. Eine nicht mehr ganz junge, nicht besonders erfolgreiche Schriftstellerin der alten Schule . . . Ja, so war es richtig.
    Tatjana hatte ihre Rolle entworfen, sie zog sich eine Jacke über, schlüpfte in bequeme, flache Gehschuhe und machte sich auf den Weg zum Bahnhof.
    * * *
    Schon auf der Schwelle des gediegenen Holzhauses überkam Tatjana das Gefühl, dass in diesem Haus die Tristesse regierte. Sie hätte nicht sagen können, warum sie das so empfand, aber das Gefühl war sehr deutlich, beinahe

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