Anastasija 08 - Im Antlitz des Todes
versuchte, sich so langsam und vorsichtig wie möglich wieder zu erheben. »Wissen Sie, wo Ajrumjan ist? Ist er schon wieder weg?«
»Nein, er ist draußen im Treppenhaus und unterhält sich mit den Nachbarn. Du kennst ihn, den alten Schwätzer, sein Mundwerk steht ja nie still, aber nach einer Leichenbeschau ist er wie vom Teufel besessen und schäumt über vor Redseligkeit.«
»Machen Sie ihn nicht schlecht, Herr Untersuchungsführer«, sagte Nastja, während sie ächzend in die vertikale Haltung ging. »Nach solchen Unterhaltungen mit den Nachbarn bekommen Sie immer eine Menge nützlicher Informationen von Ajrumjan. Die Klatschmäuler lieben unseren Opa Gurgen, aus welchem Grund auch immer, aber Tatsache ist, dass sie ihm sehr viel mehr erzählen als zum Beispiel Ihnen. Ich gehe auch mal ins Treppenhaus, vielleicht gibt mir jemand etwas aus seiner Hausapotheke, sonst komme ich nicht bis nach Hause. Ich kann mich weder setzen noch aufstehen, das geht doch mit dem Teufel zu.«
»Ist schon gut, hör auf zu jammern, ich bringe dich nach Hause«, brummte Olschanskij. »Geh hinüber in die Küche und löse Lesnikow ab, ich brauche ihn jetzt hier. Es wird Zeit, die Mücke zu machen, wir trödeln hier schon seit über drei Stunden herum.«
Nastja verließ gehorsam das Zimmer. In der Küche saß der groß gewachsene, attraktive Ermittlungsbeamte Igor Lesnikow, der den Ruf des ernsthaftesten Mannes bei der ganzen Kripo hatte, und unterhielt sich mit dem Vater der verstorbenen Ljuba Sergijenko, genauer, er versuchte, sich zu unterhalten, da der etwa fünfzigjährige, kräftig gebaute Mann mit den harten, etwas groben Gesichtszügen ganz offensichtlich nicht immer den Sinn der ihm gestellten Fragen verstand und entsprechend verworren antwortete. Aber das war verständlich. Man konnte keine nüchternen Gedanken von einem Menschen erwarten, dessen Tochter sich erhängt hatte und dessen Frau im Sterben lag. So etwas gab es vielleicht im Film, aber nicht im wirklichen Leben.
Lesnikow erblickte Nastja und nickte ihr kurz zu, ohne das Gespräch zu unterbrechen.
»Ihre Tochter hat also nicht versucht, eine neue Arbeit zu finden, und sie hat sich Ihnen zunehmend entfremdet. Hat Sie das nicht beunruhigt?«
»Wir haben gedacht, dass sie Liebeskummer hat. . . Wissen Sie, als sie aus der Türkei zurückkam, war sie irgendwie . . . irgendwie verändert . . . Und sie wollte Strelnikow nicht sehen. Bevor sie in die Türkei ging, hat sie zwei Jahre bei ihm gewohnt und ist nur noch zu Besuch zu uns gekommen . . . Aber nach ihrer Rückkehr hat sie nur noch zu Hause gesessen . . . Meine Frau und ich haben gedacht, dass sie dort, im Ausland, einen Mann kennen gelernt hat und ihrem Strelnikow untreu geworden ist. Wir dachten, dass sie deswegen leidet und nicht zu ihm zurück will. . .. Ich wollte sie dazu bringen, dass sie sich eine Arbeit sucht.«
Lesnikow warf Nastja erneut einen Blick zu und erhob sich vom Küchentisch.
»Viktor Iwanowitsch, das ist Anastasija Pawlowna, eine Kollegin. Bitte unterhalten Sie sich ein wenig mit ihr, ich muss kurz weg.«
Sergijenko nickte ungerührt, es schien ihm völlig gleichgültig zu sein, wer von den Kripobeamten mit ihm sprach. Nastja wollte sich auf Lesnikows Platz setzen, besann sich aber rechtzeitig. Das wäre erneut mit Ächzen und Stöhnen verbunden gewesen, das konnte sie einem Untersuchungsführer zumuten, der sie seit vielen Jahren kannte, aber nicht einem Menschen, dem soeben ein schreckliches Unglück widerfahren war. Deshalb lehnte sie sich gegen die Wand und versuchte, eine bequeme, sichere Haltung im Stehen zu finden, sofern das überhaupt möglich war.
»Sie wollten Ihre Tochter also dazu bringen, dass sie sich eine Arbeit sucht«, sagte Nastja. »Wie hat sie darauf reagiert?«
»Sie war der Meinung, dass es keine Eile hat. . . Sie sagte, sie hätte in der Türkei ein halbes Jahr ohne freie Tage durchgearbeitet und hätte jetzt Anspruch auf Urlaub . . . Und außerdem hatte man ja ihre Freundin umgebracht, diejenige, mit der Ljuba in der Türkei war. Ljuba hat schrecklich gelitten, sie weinte ständig, konnte nicht mehr essen, nicht mehr schlafen, sie war völlig verstört . . . wie hätte sie da arbeiten gehen sollen! Aber du lieber Gott, welche Bedeutung hat das alles? Sie glauben doch nicht etwa, sie hat sich umgebracht, weil sie keine Arbeit hatte. Was macht es für einen Unterschied, ob sie gearbeitet hat oder nicht!«
»Überhaupt keinen«, stimmte Nastja zu. »Ich möchte
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