Anastasija 08 - Im Antlitz des Todes
drei Tagen kam sie wieder und reichte Pawel erneut fünf Scheine, diesmal waren es fünfhundert Dollar.
»Was ist das?«, fragte er erstaunt. »Du hast mich doch schon beim letzten Mal bezahlt.«
»Beim letzten Mal habe ich für den Rat bezahlt. Diesmal bezahle ich für das Resultat.«
Pawel wurde eiskalt. Er hatte immer nur an Autosuggestion geglaubt, aber niemals daran, dass seine magischen Rituale tatsächlich etwas bewirken konnten.
»Du hast aufgehört, sie zu hassen?«, fragte er vorsichtig. »Ist deine Seele nun ruhig und frei von Hass? Ich freue mich für dich, meine Liebe. Nimm das Geld wieder, du hast mir bereits genug gegeben. Dein Glück und dein Seelenfrieden sind der schönste Lohn für mich.«
»Es gibt niemanden mehr, den ich hassen könnte«, erwiderte Ljuba mit tonloser Stimme. »Sie ist tot. Sie ist auf der Müllhalde gestorben, wie der Hund, der wieder frisst, was er gespien hat, wie die Sau, die sich nach der Schwemme wieder im Kot wälzt. Ihre Großmutter hat sie zu sich gerufen.«
Bevor Pawel begriff, was geschehen war, war Ljuba wieder verschwunden. Er hörte nur noch, wie die Haustür unten ins Schloss fiel. Erst jetzt sah er die fünf Hundertdollarscheine, die Ljuba ihm vor die Füße geworfen hatte.
Neuntes Kapitel
Nach dem Besuch bei Pawel Lewakow stellte es keine große Schwierigkeit mehr dar, Ljubas Aufenthaltsort während der Tatzeit zu ermitteln. Man brauchte dafür zwar Zeit und Geduld, aber intellektuelle Anstrengung war nicht mehr nötig. Pawel hatte sich daran erinnert, dass Ljuba die Anweisung bekommen hatte, an diesem Tag zweimal zum Friedhof zu gehen. Vor ihrem zweiten Gang dorthin, der gegen Mitternacht stattfinden musste, sollte sie mindestens drei Stunden lang durch den Wald oder durch einen Park gehen, in dem es keine Autos gab und möglichst wenig andere Anzeichen des technischen Fortschritts, und Gebete sprechen, um sich reinzuwaschen. Dann musste sie einen ruhigen Platz finden und mindestens eine Stunde lang unbeweglich sitzen, ohne ein einziges Wort zu sprechen. Sie sollte ihren Blick nach innen richten und versuchen, mit den kosmischen Tiefen in Kontakt zu kommen. Nur so konnte sie erreichen, dass der verstorbene Verwandte ihrer Rivalin die Bitte würde hören können, die sie an seinem Grab sprach. Mit denen, die ihre Seele vorher nicht reinwuschen, sprachen die Toten nicht. Nach dieser Übung sollte Ljuba sich auf den Weg zum Friedhof machen, aber sie musste unbedingt zu Fuß gehen. Pawel wies Ljuba darauf hin, dass Magie nicht vereinbar war mit technischem Fortschritt, weshalb sie alles vermeiden sollte, was mit Technik zusammenhing. Sie sollte keine Aufzüge benutzen, keine öffentlichen Verkehrsmittel, keine Elektrogeräte.
Der Friedhof, auf dem Ljudmila Schirokowas Großmutter begraben lag, war anderthalb Gehstunden von der Schwernik-Straße entfernt, wo Ljuba Sergijenko gewohnt hatte. Wenn Pawel Lewakow also nicht log und wenn Ljuba alle seine Anweisungen genau ausgeführt hatte, hatte sie für die Erfüllung der ihr gestellten Aufgabe mindestens sieben Stunden gebraucht. Drei Stunden lang gehen und Gebete sprechen, eine Stunde sitzen und sich in sich selbst versenken, danach ein Fußweg von anderthalb Stunden bis zum Friedhof und noch einmal dieselbe Zeit für den Heimweg. Dazu die Zeit, die sie auf dem Friedhof verbringen musste. Wobei sie das Grab vor Mitternacht erreicht haben musste, um rechtzeitig Kontakt mit der toten Großmutter aufnehmen zu können. Daraus folgte, dass sie an diesem Tag spätestens um sechs Uhr abends das Haus verlassen haben musste. Bis neun musste sie gehen und Gebete sprechen, von neun bis zehn auf irgendeiner stillen Bank sitzen, von zehn bis halb zwölf den Weg bis zum Friedhof zurücklegen. So ungefähr jedenfalls. Jetzt mussten nur noch Zeugen gefunden werden, die Ljuba auf dieser langen Strecke gesehen hatten, dann konnte man die Selbstmörderin ruhigen Gewissens von der Liste der Verdächtigen streichen.
Man forderte das Gesprächsprotokoll mit Ljubas Angaben über ihren Aufenthaltsort während der Tatzeit an. Vielleicht waren diese Angaben gar nicht so weit entfernt von der Wahrheit. Schließlich hatte sie ausgesagt, dass sie zu dieser Zeit spazieren gegangen war, und sie hatte sogar die Orte und Straßen angegeben. Sie behauptete zwar, dass sie das Haus erst gegen acht Uhr verlassen hatte und gegen Mitternacht wieder zurückgekehrt war, aber das war nicht entscheidend. Es war klar, dass sie lügen musste, denn
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