Anastasija 08 - Im Antlitz des Todes
oder im Beruf herbeiführen würden. Es war dann ein Leichtes, die Klientin davon zu überzeugen, dass dieses Unglück auch wirklich eintreten würde. Aber mit diesem Mädchen, das begriff Pawel gleich, war es nicht so einfach. Alles an ihr, die leise Stimme, die ausdruckslose Mimik, die verlangsamten Bewegungen, zeugte davon, dass sie über die Beziehung zu ihrer Rivalin lange nachgedacht hatte und ihr den Tod nicht aus einer Augenblickslaune heraus wünschte. Vielleicht hatte sie sogar mit sich gekämpft und versucht, ihr zu verzeihen.
»Was hast du davon, wenn sie stirbt? Was würde sich in deinem Leben verändern, wenn sie nicht mehr da wäre? Du hast doch selbst gesagt, dass du deinen Geliebten nicht wiederhaben willst.«
»Nein, ich will ihn nicht wiederhaben. Aber sie soll auch nicht leben. Ich habe ihretwegen zu viel durchgemacht. Demütigungen, Hunger, Elend. Und jetzt auch das noch . . . Sie soll sterben.«
Pawel begriff, dass es sich um einen schweren Fall handelte, aber dafür konnte er dem Mädchen reichlich Geld aus der Tasche ziehen. Er musste ihm nur weismachen, dass das gewünschte Resultat nicht von heute auf morgen zu erreichen war, dass dazu über einen längeren Zeitraum täglich magische Rituale vorgenommen werden mussten. Je länger die ganze Sache sich hinziehen würde, desto größer war die Chance, dass Ljuba sich besinnen und sich mit einer gnädigeren Strafe für ihre Rivalin zufrieden geben würde. Und jede Sitzung bedeutete neues Geld, zumal es ein sehr nützliches Prinzip gab, das Pawel einst von einem befreundeten Dermatologen übernommen hatte. Man musste den Patienten ständig darauf hinweisen, dass eine Heilung nur dann möglich war, wenn er die verschriebene Salbe streng nach Zeitplan anwendete, andernfalls könne der Erfolg der Behandlung nicht garantiert werden. Aber es gab keinen einzigen Menschen auf der Welt, der sich konsequent an solche Anweisungen hielt, der die wunde Stelle monatelang täglich nach der Uhr mit der ihm verordneten Salbe einrieb. Also konnte er den Arzt nicht für das Ausbleiben des Erfolgs verantwortlich machen. Pawel hatte diesen Grundsatz übernommen und bläute seinen Klientinnen ein, dass der gewünschte Erfolg nur dann eintreten konnte, wenn die magischen Rituale genau nach Vorschrift durchgeführt wurden, zum Beispiel eine Woche lang alle vierundfünfzig Minuten. Es war klar, dass nur verrückte Fanatiker sich an eine solche Vorschrift halten konnten, und von solchen gab es nicht allzu viele.
Er versicherte Ljuba, dass es möglich war, den Tod ihrer verhassten Rivalin herbeizuführen, allerdings würde es sich um eine sehr langwierige Prozedur handeln, die sehr viel Geduld und Akribie verlangte. Ljuba war mit allem einverstanden und versprach, alle Anweisungen genau zu befolgen. Pawel überlegte sich für sie ein sehr aufwendiges, kompliziertes Verfahren, das jeden Abend auf dem Friedhof durchgeführt werden musste, am Grab eines verstorbenen Verwandten der Rivalin.
Er bereitete eine Mixtur aus geheimnisvollen Flüssigkeiten und notierte auf einem Blatt Papier die Anweisungen für Ljuba.
»Am ersten Tag gibst du sieben Tropfen dieser Mixtur auf einen Kiefernzweig und zündest ihn an. Während er brennt, sprichst du die Verwünschung, hier ist der Text. Allerdings darfst du ihn nicht ablesen, du musst ihn auswendig lernen und mit ganzer Inbrunst sprechen, sonst hört dich der Tote nicht. Am ersten Tag musst du das zweimal machen, das erste Mal bei Tageslicht, das zweite Mal kurz vor Mitternacht, aber du musst aufpassen, dass du fertig bist, bevor es zwölf geschlagen hat. Nach Mitternacht beginnt der nächste Tag, und dann wirkt die Verwünschung nicht mehr. Hast du dir alles gemerkt?«
»Ja, ich habe es mir gemerkt«, sagte Ljuba, die Pawel aufmerksam und angespannt zugehört hatte.
»Am zweiten Tag gehst du mittags genau zwanzig vor zwölf zu demselben Grab und nimmst drei Tropfen der Mixtur. Zwanzig Minuten vor Mitternacht gehst du wieder hin und nimmst sechs Tropfen. Diesmal verwendest du Lindenzweige.«
Pawel überlegte sich immer neue Details, die die Erfüllung der gestellten Aufgabe praktisch unmöglich machten. Er erklärte Ljuba, dass die ihr erteilten Anweisungen nur für die nächsten fünf Tage galten, anschließend würde er ihr neue Instruktionen für die weiteren fünf Tage geben. Natürlich gegen erneutes Honorar.
Das Mädchen legte fünf Hunderttausendrubelscheine in die Schatulle, die neben der Tür stand, und ging. Nach
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