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Anastasija 08 - Im Antlitz des Todes

Anastasija 08 - Im Antlitz des Todes

Titel: Anastasija 08 - Im Antlitz des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Marinina
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bereits ein vierstündiger Spaziergang, den eine junge Frau allein durch die dunklen Straßen der Stadt unternahm, mutete reichlich seltsam an, erst recht um diese Jahreszeit. Hätte sie erzählt, dass sie sieben Stunden lang ohne Sinn und Ziel unterwegs war, ohne einem einzigen Menschen zu begegnen, hätte ihr niemand geglaubt. Dann wäre ihr nichts anderes übrig geblieben, als von ihren Friedhofsbesuchen zu erzählen und zu gestehen, was sie dort gemacht hatte. Wäre Mila noch am Leben gewesen, wäre so ein Geständnis vielleicht peinlich oder beschämend gewesen, aber es wäre kein Zusammenhang mit einem Verbrechen entstanden. Doch Mila war ermordet worden. Und wenn Ljuba in Anbetracht dieser Tatsache zugegeben hätte, dass sie ihrer Freundin den Tod gewünscht hatte, wäre das einem Geständnis gleichgekommen. Deshalb musste Ljuba Sergijenko alles verschweigen, was mit ihren Besuchen in der Kirche, auf dem Friedhof und beim gottgefälligen Pawel zu tun hatte.
    Und wenn das alles nur Bluff ist?, fragte Nastja sich müde.
    Die Suche nach Personen, die Ljuba Sergijenko während ihres siebenstündigen Spaziergangs gesehen hatten, beanspruchte zwei Tage. Leider stellte sich heraus, dass es unmöglich war, einen Augenzeugen zu finden, der Ljubas Alibi in vollem Umfang hätte bestätigen können. Die neugierige Nachbarin erinnerte sich daran, dass Ljuba an diesem Tag tatsächlich etwa eine Viertelstunde nach dem Ende der Fernsehserie »Geliebter Feind« das Haus verlassen hatte. Diese Serie, die auf dem Moskauer Regionalsender lief, begann zehn vor fünf und dauerte etwa vierzig Minuten. Die Nachbarin hatte die Serie angesehen und sich danach mit einer Tasse Tee ans Fenster im ersten Stock gesetzt, um die Vorgänge vor dem Haus zu beobachten. Außerdem fanden sich zwei etwa siebzehnjährige Burschen, die sich nächtens auf dem Friedhof mit billigem Wein voll laufen ließen und so ihren Mut erprobten. Sie hatten eine junge Frau gesehen, die an einem der Gräber in der vierundsechzigsten Parzelle etwas verbrannt hatte, das heißt, genau dort, wo Milas Großmutter begraben lag, Mischa Dozenko verbrachte einen Abend in dem Park zwischen der Zagorod-naja Chaussee und dem Serpuchowskij Wall, wo Ljuba angeblich an jenem Abend spazieren gegangen war, und befragte sämtliche Hundebesitzer, die dort auftauchten. Zwei von ihnen erinnerten sich an ein seltsames junges Mädchen, das völlig bewegungslos, wie versteinert auf einer Bank gesessen und sich kein einziges Mal gerührt hatte, während die beiden ihre Hunde ausführten. Und das war tatsächlich in der Zeit zwischen neun und zehn Uhr abends gewesen. Einer der beiden Hundebesitzer, der einen sympathischen, bärtigen Mittelschnauzer ausführte, erinnerte sich sogar daran, dass er das Mädchen bereits am Vortag, also am Sonntag, auf derselben Bank gesehen hatte, auch an diesem Tag hatte sie völlig bewegungslos dagesessen, und ihr Gesichtsausdruck war irgendwie . . . als wäre sie nicht ganz bei sich, sagte er, als wäre sie von allen guten Geistern verlassen.
    Drei Aufenthaltsorte auf der von Ljuba angegebenen Strecke waren also mehr oder weniger bestätigt, es blieben jedoch immer noch Zweifel darüber, wo die Sergijenko sich von sechs bis neun Uhr abends und zwischen Parkbank und Friedhof aufgehalten hatte. Wenn man es geschickt anstellte, konnte man sowohl im ersten als auch im zweiten Zeitintervall durchaus einen Mord begehen. So jedenfalls meinte Nastja Kamenskaja.
    »Und wenn es tatsächlich sie war, die Ljudmila umgebracht hat?«, sagte sie zu Korotkow. »Vielleicht dienten ihre Kirchgänge und Besuche bei Lewakow nur dazu, den Verdacht von sich abzulenken. Ja, hätte sie in diesem Fall sagen können, ich habe meiner Freundin wirklich den Tod gewünscht. Man tut verrückte Dinge aus Eifersucht, aus Hass, aus Verzweiflung, aber Sie werden doch nicht im Ernst glauben, meine Herren Milizionäre, dass meine Verwünschungen Milas Tod bewirkt haben?«
    »So etwas glauben die Herren Milizionäre tatsächlich nicht«, erwiderte Korotkow deprimiert. »Was sollen wir tun, Nastja? Wir tappen völlig im Dunkeln und sehen überhaupt kein Land. Sagt dir dein Gefühl irgendetwas?«
    »Nein, es schweigt«, gestand Nastja, »als hätte es den Mund voller Wasser. Aber die Geschichte mit den Briefen lässt mir keine Ruhe. Etwas ist daran nicht sauber, Jura. Einerseits ist völlig unklar, wo Derbyschews Brief herkommt und warum er bestreitet, ihn geschrieben zu haben. Andererseits

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