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Anastasija 08 - Im Antlitz des Todes

Anastasija 08 - Im Antlitz des Todes

Titel: Anastasija 08 - Im Antlitz des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Marinina
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zwanzig und fünfzig Jahren, von denen, die im Atheismus aufwuchsen und ihr ganzes Leben der Überzeugung waren, dass es keinen Gott gibt. Du wirst in den Kirchen kaum jemanden finden, der nicht von Verzweiflung oder Hass getrieben ist. Es gibt natürlich auch solche, die von innen her Güte und Reinheit ausstrahlen, aber das sind nur einige wenige. Die meisten Frauen in gebärfähigem Alter gehen in die Kirche wie zu einem Psychotherapeuten. Sie brauchen Hilfe, und die alte Alewtina hilft ihnen. Böser Zauber, Bannsprüche, Verwünschungen und so weiter. Sie verschafft diesen Halunken ständig Kunden.«
    »Sag mal, Igor, glaubst du überhaupt nicht an übersinnliche Kräfte? Bist du dir ganz sicher, dass es so etwas nicht gibt?«
    »Geh mir nicht auf die Nerven, Jura«, lächelte Lesnikow. »Es spielt doch überhaupt keine Rolle, ob ich daran glaube oder nicht. Ich halte es für möglich, dass der eine oder andere dieser Zauberkünstler etwas bewirken kann, aber bestimmt nicht alle. Und natürlich kosten diese Dienste Geld. Wann gehen wir den gottgefälligen Pawel besuchen? Heute?«
    »Ja, natürlich heute«, seufzte Korotkow. »Iss auf, dann machen wir uns auf den Weg.«
    * * *
    Der gottgefällige Pawel war ein zwei Meter langer Hüne mit einem gepflegten kastanienbraunen Bart, schulterlangem dichten Haar und eindrucksvoller Bassstimme. Er war wahrscheinlich kein schlechter Psychologe, denn er begriff sofort, dass die zwei Männer, die an seiner Tür geläutet hatten, keine Kunden waren, die bei ihm Hilfe in der Not suchten. Deshalb hielt er sich zurück und verzichtete darauf, sich gleich an der Türschwelle als Magier und Zauberer aufzuspielen, wie er es gewöhnlich vor den gutgläubigen Frauen tat. Seine Aufmachung schien im Hinblick auf diese Frauen allerdings nicht sehr geglückt. Er trug einen knöchellangen weißen Kittel, eine Vielzahl von Armreifen an den mächtigen behaarten Armen und ein Metallband, das seinen Kopf von der Stirn bis zum Nacken bedeckte.
    »Sind Sie Pawel Wassiljewitsch Lewakow?«, fragte Jura.
    »In höchst eigener Person«, erwiderte der gottgefällige Mann mit einem breiten Lächeln. »Womit kann ich dienen?«
    »Wir sind von der Kripo. Wir müssen Ihnen einige Fragen stellen . . .«
    Die Wohnung des gottgefälligen Hexenmeisters war klein, dunkel und schmutzig, auf Schritt und Tritt fielen Kultgegenstände ins Auge: Kerzen, präparierte Schlangen und Riesenspinnen, kleine Wachsfiguren, getrocknete Zweige verschiedener Bäume und bizarre bunte Glasgegenstände. Er hatte ein gut durchdachtes Konzept für Gespräche mit Rechtsvertretern, allem Anschein nach hatten solche Gespräche in der Vergangenheit bereits des Öfteren stattgefunden, weshalb er gar nicht erst versuchte, sich stur zu stellen und den Beamten die Antworten auf ihre Fragen zu verweigern, womit er ihnen dankenswerterweise Zeit ersparte. Der durchaus moderne und mehr als zynische junge Mann hatte nicht das Geringste zu befürchten.
    »Die Menschen kommen zu mir wie zu einem Psychotherapeuten«, erklärte er, »obwohl ich sie immer darauf hinweise, dass ich kein Arzt bin und keine medizinische Ausbildung habe. Aber irgendwie gelingt es mir, ihnen zu helfen.«
    Er lächelte bescheiden und breitete, wie über sich selbst verwundert, die Arme aus.
    »Offenbar besitze ich ein angeborenes Talent, denn ich kann die Leiden der Menschen tatsächlich lindern.«
    Kurpfuscherei konnte man Lewakow also bereits nicht mehr vorwerfen, das stellte er nicht dumm an. Ob er wohl selbst auf die Idee gekommen war, sich so aus der Affäre zu ziehen, oder hatte ihn jemand entsprechend beraten?
    »Sie haben sicher schon von dem in der Medizin bekannten Placeboeffekt gehört. Man verabreicht den Patienten ein angeblich starkes Mittel gegen ihr Leiden, zum Beispiel gegen Alkoholsucht, aber in Wirklichkeit handelt es sich um Aspirin oder ein ähnlich harmloses Medikament. Der Patient ist davon überzeugt, dass das Mittel ihm helfen wird, und es hilft tatsächlich. Meine Vorgehensweise basiert genau auf diesem Prinzip. Wenn eine Frau zu mir kommt und mich bittet, ihre Nachbarin zu verwünschen, ist mir völlig klar, dass diese Frau nur die Gewissheit braucht, dass es ihrer Nachbarin schlecht geht. Sie müssen den Unterschied verstehen: Es ist nicht von Bedeutung, wie es der Nachbarin wirklich geht, wichtig ist nur, was meine Klientin glaubt. Wissen Sie, es ist sehr oft so, dass die verhasste Person, die verwünscht werden soll, dieser Verwünschung

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