Anastasya (German Edition)
Donnerstag… Ende März. Für mich spielte der Kalender keine Rolle, ich wusste nicht einmal, in welchem Jahr wir uns genau befanden. Daniels Kalender hing schon länger als ein Jahr. „Gründonnerstag“
„Na und?“
„Die Menschen essen heute kein Fleisch“
„Tun wir ja auch nicht?“, ich verstand nicht, worauf sie hinaus wollte. Sollte ich heute gezielt auf Menschen in grünen Klamotten losgehen?
Sie antwortete darauf nicht. Aber sie hielt auch nicht ihren Mund. Sie fing ein ganz anderes Thema an.
„Du hast gesagt, ich soll meine eigenen Entscheidungen treffen“, das war ja wahnsinnig nett von ihr, mir die Worte im Mund umzudrehen.
Ich schüttelte nur den Kopf. Wahnsinnig nett. Plötzlich fing ich an, sie zu mögen.
Lena folgte mir ohne ein einziges weiteres Wort bis zum Bahnhof. Ich hatte beschlossen, ein Stück mit dem Zug zu fahren, weil ich keine Lust hatte, den weiten Weg durch den Schnee zu Stapfen. Es war Ende Jänner. Mir wurde zwar nicht kalt, wenn meine Füße durch den Schnee nass waren, aber mit der Zeit wurde es äußerst nervig.
Als ich ohne eine Fahrkarte zu kaufen in den Zug stieg sch aute mich Lena irgendwie enttäuscht an. „Wieso überrascht dich das noch?“, fragte ich sie beiläufig und ging einfach weiter. In dieser Gegend wurde nicht kontrolliert, da fuhr jeder schwarz. Außer Lena vermutlich. Irgendwie tat es mir leid, dass wir Charly zurück gelassen hatten aber andererseits war Lena allein ja schon eine kleine Verzögerung. Ich fragte mich auch, was sie tun würde, wenn ich mein Ziel erreicht hatte. In den umliegenden Wäldern herum streunen und auf mich warten? Oder würde sie wieder die gleiche Nummer abziehen und darauf bestehen, mich zu begleiten? Mir war beides nicht Recht. Ich wollte nicht, dass sie auch nur in die Nähe der Gruft kam. Aber wenn sie es wirklich wollte konnte ich sie davon nicht abhalten. Im Zug saßen wir uns gegenüber. So wollten wir verhindern, dass irgendjemand herein kam, mit dem wir zwangsweise reden mussten.
„Was hat dich eigentlich in diesen Ort geführt?“, fragte sie mich.
Ich zuckte die Schultern. Vielleicht die Tatsache, dass es meine Heimat war? Oder der Gedanke, dass dort etwas war, das ich nicht verpassen sollte.
„Irgendwas, ich wusste, dass ich dort hin muss“
„Aha. Denkst du, dass es Schicksal war, dass wir uns gefunden haben?“, überlegte sie. Darüber hatte ich mir keine Gedanken gemacht. Wie kam sie nur immer auf solchen Blödsinn?!
„Keine Ahnung“
„Hm. Ich denke, dass es schon irgendwie vorgeplant war. Ich meine, ich war erst einmal vorher dort und bin genau dort gewesen, als du da warst und ich war eigentlich zwei Tage vor dir dort, bin aber geblieben, anstatt wieder zu gehen. Und als du gekommen bist habe ich unwillkürlich grinsen müssen“, erzählte sie. Ich nickte. Aha, das war ja wahnsinnig interessant. Mich beunruhigte es, dass sie uns inzwischen als eine Art Freunde ansah. Ich wollte keine Freunde, ich war ein Einzelgänger.
Die Fahrt dauerte lange. viel zu lange. Viel zu viele Stunden, die ich alleine mit Lena war und die sie mich vollquasselte. Sie ging mir zwar auf die Nerven, aber ich ließ sie reden, ich wollte ihr nicht sagen, dass sie die Klappe halten sollte. Irgendwie tat sie mir leid. Das, was ihr passiert war, war alles andere als schön. Aber es wunderte mich erst, dass sie gar nichts getan hatte, um ihn abzuwimmeln. Sie erzählte mir ihre ganze verdammte Lebensgeschichte, alles woran sie sich noch erinnern konnte. Und es wurde nicht einmal langweilig. Es gab Höhen und Tiefen, schöne und traurige Erlebnisse. Aber sie unterschied sich durch meine Geschichte um ein gravierendes Detail. Von ihrer Familie war noch niemand aus der Wohnung gezerrt und dem Rat vorgesetzt worden.
Es lebten noch alle. In alle Welt verstreut. Lena wurde eigentlich in Deutschland geboren.
„Ich kann mich noch erinnern, dass ich oft Ball gespielt habe. Und ich habe mich schon immer für Pferde interessiert. Nur konnten wir uns das nie leisten, bzw. zogen wir oft um. Meine Schwester und ich haben alles bekommen, was wir wollten aber ein Pferd war nicht drin. Irgendwann hatte ich mich damit abgefunden und aufgehört, zu jammern. Was sollen Tränen an der Zukunft ändern? Ich habe kein en Einfluss auf mein Schicksal…“, ab diesem Moment hörte ich auf, ihr zuzuhören. Ich nickte immer wieder und tat so, als würde ich ihr zuhören, aber in Wirklichkeit beschäftigte mich etwas anderes. Ich dachte an Daniel.
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