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Anathem: Roman

Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Nachzügler machen, und eigentlich bestand auch kein Grund zur Eile; also wartete ich, bis Stathos Stimme den Schacht heraufhallte, als er die Eröffnung anstimmte. Dann stürzte ich aus meiner Deckung heraus, raste zur Treppe hinüber und stürmte in den Bereich darüber. Statho machte ziemlich ausführlich weiter und hielt von Zeit zu Zeit inne, als ginge er hastig zusammengestellte Aufzeichnungen durch oder sammelte neue Kraft.
    Ich war ungefähr auf halbem Weg zum Sternrund, hoch oben hinter dem Ziffernblatt der Uhr, als ich zum ersten Mal das Wort Anathem hörte.
    Meine Knie klappten zusammen, wie die eines Tieres, wenn es unvermittelt am Rücken berührt wird. Ich verlor meinen Rhythmus und musste anhalten und in die Hocke gehen, um nicht irgendwo anzustoßen.
    Das konnte nicht wahr sein. Der Aut des Anathems war hier zweihundert Jahre lang nicht begangen worden. Und dennoch musste ich zugeben, dass die Wechsel, die Tulia geläutet hatte, in meinen Ohren neu geklungen hatten – anders als beim Voko. Die Menge unten im Mynster war vor dem Aut totenstill gewesen. Jetzt murmelte sie und erzeugte dabei ein kiesiges Geräusch; so etwas hatte ich noch nie gehört.
    Alles, was seit der Apert geschehen war, ergab jetzt auf ganz neue
Weise Sinn, so als wäre ein Haufen Scherben in die Luft geworfen worden und hätte sich von alleine wieder zu einem Spiegel zusammengesetzt.
    Ein Teil von mir sagte, dass ich weitergehen sollte. Dass dies die einzige Chance sei, die Tafel zu holen. Nicht, dass die darauf gespeicherten Bilder noch irgendeine Rolle gespielt hätten. Aber Orolo hatte mir erst vor ein paar Minuten mit Nachdruck zu verstehen gegeben, dass er die Tafel aus dem M & M haben wollte. Ich musste sie beide holen. Wenn ich es vermasselte, würde ich in große Schwierigkeiten geraten – vielleicht ausgestoßen werden. Schlimmer noch, ich würde Orolo enttäuschen.
    Wie lange hatte ich reglos auf diesem Laufgang gehockt? Vertane Zeit! Vertane Zeit! Ich rappelte mich hoch.
    Wessen Namen würden sie rufen? Vielleicht meinen? Was würde passieren, wenn ich nicht vortrat? Darin lag ein gewisser schwarzer Humor. Er wurde noch schwärzer, als ich mir eine Möglichkeit vorstellte, auf den Ruf zu reagieren, nämlich dass ich durch den Schacht hinunterspränge. Und mit etwas Glück auf Suur Trestanas landete. Das wäre eine Geschichte, die für immer in den Überlieferungen von Saunt Edhar und der mathischen Welt jenseits davon weiterleben würde. Vielleicht würde es sogar in die Schlagzeilen der Lokalzeitungen kommen.
    Es würde mir jedoch nicht diese Tafel aus dem Auge der Clesthyra verschaffen, ebenso wenig wie die aus dem M & M, die Orolo haben wollte. Für den Preis lohnte es sich, Risiken einzugehen.
    Ich stieg hinauf, während Statho altes Blabla über die Regel und darüber, wie sie durchgesetzt werden musste, vorlas. Vielleicht war ich nicht so schnell, wie ich hätte sein können, denn ich wusste, dass er dem Moment zustrebte, wo er den Namen dessen rufen würde, der ausgestoßen werden sollte, und ich wollte ihn hören. Ich kam oben an, legte die Hand auf die Klinke der Tür, die zum Sternrund führte, und schlug im Grunde einen Moment lang Zeit tot.
    Schließlich sagte er: »Orolo.« Nicht »Fraa Orolo«, denn in diesem Augenblick hatte er aufgehört, ein Fraa zu sein.
    Wie konnte ich überrascht sein? Von dem Moment an, als ich »Anathem« gehört hatte, war mir klar gewesen, dass es Orolo sein würde. Dennoch sagte ich laut: »Nein!« Niemand hatte mich gehört, da alle anderen es im selben Moment auch sagten; wie ein Trommelschlag hallte es den Schacht empor. Als es verebbte, trat ein
sonderbares Geräusch an seine Stelle, etwas, das ich noch nie zuvor gehört hatte: Da unten weinten Leute.
    Warum rief ich »Nein!«, wenn ich es die ganze Zeit gewusst hatte? Nicht aus Ungläubigkeit. Es war ein Einspruch. Eine Ablehnung. Eine Kriegserklärung.
    Orolo war bereit. Er erschien sofort durch die Tür in unserem Schirm und schloss sie fest hinter sich, bevor seine früheren Brüder und Schwestern anfangen konnten, Abschied von ihm zu nehmen, denn das hätte ein ganzes Jahr gedauert. Lieber gleich weg sein, wie jemand, der von einem umstürzenden Baum getötet wird. Er ging hinaus in den Chorraum, warf seine Sphär zu Boden und fing dann an, seine Kord loszubinden. Sie rutschte ihm auf die Knöchel. Er trat hinaus, packte den unteren Rand seiner Kulle und zog sie sich über die Schultern aus. Darauf stand er einen

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