Anathem: Roman
hatte, er wäre diesen Plan bereits mit Ferman Beller durchgegangen und die beiden hätten sich darauf geeinigt. Nun war offenkundig, dass nichts dergleichen geschehen war. Und ich hatte mich schon angeschickt, Crade zu folgen, wo immer er uns hinführte.
Mir war jetzt klar, dass die Aufgaben des Anführers mir bald auf die Nerven gehen würden, denn die Leute würden immer versuchen, mich zu den falschen Dingen zu bewegen oder mich gleich ganz loszuwerden.
»Schöner Anführer!«, sagte ich und meinte damit mich selbst.
»Hä?«, entfuhr es Lio.
»Lass mich keine blödsinnigen Sachen mehr machen«, befahl ich dem verwirrt dreinschauenden Lio. Dann begab ich mich zu Crades Hol. Lio und Arsibalt folgten in einiger Entfernung. Crade und Beller stritten jetzt ganz offen miteinander. Ich wollte davon überhaupt nichts wissen, aber ich war dazu gedrängt worden, irgendetwas zu tun.
Das Problem, merkte ich, bestand darin, dass Crade behauptet hatte, über Wissen in Bezug auf die Lage von Blys Koppie zu verfügen, über das wir nicht verfügten. Das war meine Schuld. Ich hatte den Fehler begangen zuzugeben, dass ich nicht genau wusste, wo er war. Innerhalb des Konzents war es in Ordnung, Unwissenheit einzugestehen, weil das der erste Schritt auf dem Weg zur Wahrheit war. Hier draußen bot es nur Leuten wie Crade eine Gelegenheit, Macht zu erlangen.
»Entschuldigt bitte!«, rief ich. Beller und Crade hörten auf zu streiten und schauten mich an. »Einer meiner Fraas hat alte Dokumente aus dem Konzent mitgebracht, die uns sagen, wo wir hinmüssen. Wenn wir dieses Wissen mit den Fähigkeiten unseres Ita
und den topographischen Karten auf der Kartabla kombinieren, können wir selbst den Weg zu unserem Ziel finden.«
»Ich weiß genau, wohin dein Freund gegangen ist«, fing Crade an.
»Wir nicht«, sagte ich, »aber wie erwähnt, können wir es lange, bevor wir dort sind, herausfinden.«
»Folgt mir einfach und …«
»Das ist ein riskanter Plan. Falls wir dich im Verkehr verlieren, sind wir übel dran.«
»Falls ihr mich im Verkehr verliert, könnt ihr mich auf dem Nicknack anrufen.«
Das tat weh, denn Crade stellte sich vernünftiger an als ich, aber an diesem Punkt konnte ich keinen Rückzieher mehr machen. »Crade, du darfst gerne vorausfahren, wenn du möchtest, und die Genugtuung genießen, vor uns dort zu sein, aber wenn du in den Rückspiegel schaust und merkst, dass wir nicht mehr zu sehen sind, liegt das daran, dass wir beschlossen haben, unsere Auffassung darüber, wie wir dorthin gelangen sollten, für uns zu behalten.«
Crade und sein Mitfahrer hassten mich nun für immer, aber wenigstens war das jetzt vorbei.
Dieser Plan erforderte allerdings eine Umbesetzung, der zufolge ich und Sammann zu Arsibalt in Ferman Bellers Fahrzeug stiegen. Wir drei würden navigieren. Lio und ein Hunderter wechselten in Cords Hol hinüber, um die Last auszugleichen; sie würden hinter uns herfahren. Ganelial Crade bespritzte uns mit losen Steinchen, als er mit seinem Hol in die freie Landschaft hinausschoss.
»Dieser Mann benimmt sich so sehr wie der Schurke in einem literarischen Werk, dass es schon fast komisch ist«, bemerkte Arsibalt.
»Ja«, sagte einer der Hunderter, »es ist, als hätte er nie etwas von Andeutungen gehört.«
»Hat er vermutlich auch nicht«, sagte ich. »Aber denkt bitte daran, dass unser Fahrer der einzige Extra in diesem Fahrzeug ist, und deshalb sollten wir ihm die Höflichkeit erweisen, wenigstens einen Teil der Zeit Fluckisch zu sprechen.«
»Nur zu«, sagte der Hunderter, »ich werde sehen, ob ich es grammatisch analysieren kann.«
Fraa Karmolathu, so hieß er, war ein ziemlicher Trottel, aber er hatte sich freiwillig dazu gemeldet, Orolo zu holen, deshalb konnte er nicht ganz so übel sein. Er war fünf oder zehn Jahre älter als Orolo, und ich mutmaßte, dass er ein Freund von Paphlagon war.
»Wie viele Straßen führen parallel zum Gebirge nach Nordosten?«, fragte ich Beller. Und hoffte, er würde sagen, nur eine .
»Mehrere«, antwortete er. »Welche willst du nehmen, Chef?«
»Definitionsgemäß ist ein Inselberg freistehend – nicht Teil eines Gebirgszugs«, sagte Arsibalt in Orth, »daher …«
»Ragt er aus dem Plateau südlich der Berge auf«, verkündete ich in Fluckisch. »Wir brauchen keine Gebirgsstraße zu nehmen.«
Beller legte den Gang ein und fuhr los. Ich winkte Tulia zum Abschied. Etwas schockiert sah sie uns davonfahren. Unsere Abfahrt war abrupt gewesen, aber
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